Lodernde Träume
Sie sah nur den Hengst, der jetzt genau vor ihr stand und konnte die Augen nicht von ihm wenden, so sehr bewunderte sie ihn. Sie wollte aufstehen, um ihn aus der Nähe zu betrachten, doch Tiffany kicherte und flüsterte leise: »Benimm dich!« Da fiel ihr wieder ein, dass es für eine Dame natürlich absolut unschicklich ist, einfach aufzustehen, um sich das Pferd eines fremden Mannes anzuschauen, zumindest nicht, ohne ihn vorher um Erlaubnis gefragt zu haben. Deshalb wandte sie sich zu dem Mann um, der das schöne Tier am Zügel hielt - und mit einem Schlag vergaß sie den ganzen Hengst.
Er stand da, staubig und verschwitzt, doch sie dachte nur eins: Das ist der schönste Mann, den ich je gesehen habe! Ohne zu merken, was sie tat, verschlang sie ihn mit den Augen, genauso wie sie es eben noch mit dem Hengst getan hatte. Er war groß, breitschultrig, atemberaubend muskulös. Sein faszinierendes Gesicht war sonnengebräunt, und sein tadellos rasiertes Kinn ließ seine edlen, ein wenig hochmütigen Züge hervortreten. Hingerissen beobachtete sie seine männliche Hand, die unendlich langsam zum Kopf fuhr und den Hut lüftete, unter dem wildes, ungekämmtes, pechschwarzes Haar hervorquoll. Dann fiel ihr Blick auf diese abenteuerlichen, türkisblauen Augen - und in diesem Moment sah sie, dass er sie genauso unverblümt anstarrte wie sie ihn.
Sein Blick durchfuhr sie wie ein elektrischer Schlag. Jetzt erst merkte sie, was sie eigentlich tat, und mit einer heftigen Bewegung wandte sie den Kopf zur Seite. Die Schamröte schoss ihr ins Gesicht, und sie war froh, sich hinter ihrer breiten Hutkrempe verstecken zu können. Sie war völlig fassungslos. Wie hatte sie sich nur so danebenbenehmen können? Die einzige Entschuldigung, die ihr einfiel, war, dass sie so voller Bewunderung für diesen Hengst gewesen war, dass ihr Blick dann wie in Trance auf dieses noch edlere Exemplar gefallen war, auch wenn es einer anderen Gattung angehörte... Aber das war natürlich keine Entschuldigung, das war lächerlich. Es war absolut unmöglich, einen wildfremden Mann so ungeniert anzustarren. Noch nie hatte sie einen Mann so angeschaut, auch wenn sie ihn schon länger kannte.
Sein Bild war ihr wie in die Seele gebrannt. Dabei war er ein Mann von niederem Stande, das bewiesen seine Kleidung, seine langsamen, unbeholfenen Bewegungen. Er trug nicht einmal ein Halstuch, was für jeden Gentleman ein absolutes Muss war. Vielleicht war es ein Glück, dass er nicht von Adel war. Zumindest hoffte sie das, denn so würde in ihren Kreisen niemand von ihrem unmöglichen Benehmen erfahren. Vielleicht würde die Geschichte in irgendwelchen Spelunken die Runde machen, aber damit konnte sie leben. Nein, nicht einmal damit konnte sie leben. Mein Gott, was war bloß in sie gefahren?!
Tiffany hatte von der kurzen Szene Gott sei Dank nichts mitbekommen, und auch Tyler war noch voll und ganz mit dem Hengst beschäftigt, ließ sich genauestens seinen Stammbaum erklären. Doch Megan wollte gar nicht zuhören. Sie wollte bloß weg von hier. Sie wollte diesen Mann nie wieder sehen - diesen Mann, der Zeuge ihrer so peinlichen Entgleisung geworden war.
»...ich hab die Moneten nicht, ihn zu bezahlen« hörte sie die tiefe Stimme des Mannes, die irgendwie einen etwas dreisten Unterton hatte.
»Wer dann?« wollte Tyler wissen.
»Der Gutsbesitzer Penworthy ist der stolze Besitzer.«
Megans Kopf fuhr herum. Doch als sie den Mann anschaute, als sie wieder diese Augen sah, verschlug es ihr die Sprache, und einen Augenblick lang war sie so durcheinander, dass sie sich überhaupt nicht mehr erinnern konnte, was er eigentlich gesagt hatte.
Sie brauchte ganze fünf lange Sekunden, bis es ihr wieder einfiel, und dann platzte sie heraus: »Das glaube ich nicht. Mein Vater hätte mir doch davon erzählt.«
»Und wer ist ihr Vater, dass er überhaupt etwas davon wissen kann?«
»Gutsbesitzer Penworthy.«
Diesmal war er es, dem es für einen Moment die Sprache verschlug, doch dann schürzte er seine sinnlichen Lippen und bemerkte spitz: »Ach, aber ich nehme doch nicht an, dass Ihr Vater, wenn er sich mit dem Gedanken trägt, einen Deckhengst zu kaufen, um Pferde zu züchten, diesen Plan vorher groß mit Ihnen bespricht, oder?«
Es stimmte, dass ihr Vater sie nicht in alle seine Pläne einweihte. Doch wenn es um die Anschaffung eines neuen Pferdes ging, egal zu welchem Zweck, fragte er sie immer nach ihrer Meinung. Natürlich hätte er sich in diesem Fall etwas dezenter
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