Loecher, noch und noecher
reden ja heute nicht viel, weiß die Discowirtin, da machen die Engel keine Ausnahme. Ganz anders war es natürlich früher bei ihnen (ja, es war halt früher einfach alles besser!), als sie sich während der Hasch- und Sexorgien auch gut und vernünftig miteinander unterhalten konnten.
„Nowaja Semlja?“, fragt der Engel noch einmal mit flehend verzweifelter Stimme, und da ist sich die Discowirtin auf einmal gar nicht mehr sicher, ob ihr blonder Gast nicht doch eine verirrte Schwedin ist und kein Engel, weil nur die Schweden so reden, also fragt sie:
„Woher du? Du Helsingborgholmstock?“
Freilich hätte die Discowirtin gewusst, dass Helsingborgholmstock nicht die Hauptstadt von Schweden ist, sie hätte sogar gewusst, dass Helsingborgholmstock überhaupt nichts ist, wenn sie beim im Herbst unglücklich zu Tode gekommenen Lehrer Mallinger in die Klasse gegangen wäre und aufmerksam seinen Unterricht verfolgt hätte, anstatt schon mit 14 dem Rock‘n‘Roll-Fieber zu erliegen und jedem Konzert der Stones nachzureisen. Aber genau das hat sie ja damals nicht interessiert: Hauptstädte, Flussläufe, Weltkriege und Gliedsätze – „What the fuck for?!“, wenn man stattdessen der freien Liebe frönen und endlich den BH ablegen konnte.
„Ich Angelika“, sagt die Discowirtin jetzt. „Or better said: Angie, like ,Angie' from se Rolling Stones, and you how?“
Aber die vermeintliche Schwedin antwortet nicht. Dann ist sie vielleicht einfach die Tochter von der Putzfrau Anni aus Aussee drüben, die ihr der Doktor Krisper wegen der Schnupperlehre vorbeischicken wollte, seit ihr der Zuckerbäcker Mario alles hingeschmissen hat, „Ab in den Süden!“ hat er fröhlich gesungen, als er bei der Tür hinausgegangen und nie wieder zurückgekommen ist.
„Du Zucki Zucki backi backi?“, fragt die Discowirtin.
Aber die Schwedin kann kein Deutsch, soviel steht fest. Also:
„You sugar sugar bake bake, baby?“
Englisch detto Fehlanzeige. Dann vielleicht Französisch?
„Tu veux... na, was heißt ,arbeiten’ schnell noch einmal auf francais, traveller, tu veux traveller-check?“
Mon dieux, das parlez-vous-francais hat ihr auch der Afghane in dichte Nebel gehüllt, ihr ganz persönliches Fin de siecle dämmert langsam aber sicher herauf, aber einen dreht sie sich jetzt noch, „Tu veux jointln avec moi?“, fragt sie die Blonde.
„Ivana“ hört sie das Mädchen plötzlich sagen, und dann wieder „Nowaja Semlja?“, und sie deutet zunächst mit dem Finger auf ihre Brust und breitet dann fragend die Arme aus.
„Ivana“, flüstert die Discowirtin nachdenklich. Und plötzlich weiß sie, dass der Engel keine Schwedin, sondern eine Polin ist, weil nur die dort so heißen. Und sie erinnert sich, dass im letzten Herbst, als ein grausam verendender Hirsch die ganzen Jäger in ihrem Puff beschäftigt hat, auch der elendiglich zu Tode gekommene Puffkaiser Schlevsky mit einer jungen Blondine angereist war, mit der er eigentlich seinen Lebensabend oben am Gebirgshang hätte verbringen wollen, bevor dann alles ganz anders gekommen ist, so wie damals im Dezember 69, als die Stones drüben in Altamont ihr legendäres Konzert gegeben haben.
Kann es also sein, dass das arme Ding, das damals wie vom Erdboden verschluckt war, jetzt noch immer im Tal herumirrt und den Weg nach Hause nicht findet? „Nowaja Semlja“, murmelt die Discowirtin nachdenklich. „Nowaja Semlja“. Schön klingt das, denkt sie wehmütig, als wohnten dort die Engel.
Aber bevor die Discowirtin ihre schweren Beine in Bewegung setzt und vom Telefonapparat bei der Jukebox aus den Grasmuck anrufen könnte, um ihm zu melden, dass die gesuchte Blondine vom Schlevsky bei ihr sitzt, ist die auch schon wieder weg, hinaus bei der Tür, schnell und leise, wie sie gekommen war. Auch sie ein allzukurzer Gast nur in ihrer Einsamkeit.
Dann ist es still im Chez la blonde. So bedrückend still wie damals in Altamont, California, während der Stunden des Übergangs von der Nacht zum Tag, als sie alle betreten in der Blumenwiese herumlagen und weinten und nicht wussten, ob nach dem völlig aus dem Ruder gelaufenen Konzert von den Stones ihr gemeinsamer Traum vom Rock‘n‘Roll-Wahnsinn nicht schon gestorben war, noch bevor er überhaupt geboren wurde.
Oh Haupt voll Blut und Wunden
Na gut, hat sich der Biermösel dann gedacht, wenn schon er selbst nichts arbeiten will, dann jagt er wenigstens den Grasmuck drüben in Goisern in die dortigen einschlägigen Absteigen und
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