Loecher, noch und noecher
Kassierin ins Wettbüro neben dem Tagescafe hinüber setzen, weil die alte Kassierin gerade gekündigt und sie das mit dem Einlauf zunächst falsch verstanden hat, aber die Franzi hat geantwortet:
„Geh, Chefin! Ich red von Einläufen in den Arsch hinein, mit Zwetschkenkompott, das ist meine Spezialität.“
„Soll mir auch recht sein“, hat sie, die Königin der Nacht, gesagt, die bis dahin alles gesehen hat, nur halt keine Einläufe mit Zwetschkenkompott. Und nach einem Schnuppermonat war die Franzi Kubelik, die eigentlich Liftboy werden wollte, bis hinauf nach Deutschland bekannt für ihre Einläufe mit Kompott. Nur dem Lindbichler macht sie keinen Einlauf, den Lindbichler hat sie lieb. Der trägt sie auf seinen kräftigen Schneeräumer-Armen in ihr Zimmer hinein, und dann streichelt sie seine gerötete Haut, wie die Discowirtin durch die tauben Spiegel in den Separes oft neidvoll beobachtet hat, zärtlich, ganz ganz zärtlich streichelt sie seine Haut. Sie schmiegt sich dabei an ihn, und dann sagt sie:
„Nemo! Erzähl mir von den Meeren!“
Und dann erzählt der Lindbichler ihr von den Meeren. Er erzählt ihr von den tiefsten Ozeanen und den gewaltigsten Rochen, von den schönstens Seesternen und den kleinsten Krebsen, von Walen und Haien und Delphinen. Am liebsten aber hört die Franzi Kubelik Geschichten von den kleinen Seepferdchen, die ihr von allen da unten die liebsten sind, weil sie so klein sind wie sie selbst, und dann fragt sie den Lindbichler immer:
„Nemo, wann fahren wir hin?“
Und der sagt: „Bald.“
„Ach!“, seufzt die Discowirtin. „Die Liebe!“
An die 90er Jahre und die Jahre danach erinnert sich die Discowortin jetzt ganz ohne Wehmut. Die waren im Gesamten verschwendet und haben die verbogensten Menschen hervorgebracht. Kommt zum Beispiel eines Tages der Peymann mit dem Konzernlenker Raff-Kahn von den Salzburger Festspielen zu ihr herüber auf ein kleines Gulasch im Tages- und Nachtcafe und fragt sie, kaum, dass er Platz genommen hat, ob sie Nazifotzensau denn nicht wisse, dass der Hund vom Hitler auch Blondi geheißen hat wie ihre Bauerntrotteldisco, und ob sie verfickte Eva Braun der Berge den verschissenen Laden nicht schleunigst umbenennen möchte, bevor er ihn ihr abfackelt, auch ein innerlich sehr verbogener Mensch, dieser Peymann, richtig durchgedreht hat er, bevor sie ihn mit dem Kochlöffel vertrieben hat. Aber in den 90ern war einfach der Lack ab, die fette Torte war gegessen, good old Hollywood was dead.
Auch wenn ihr schon früher so mancher weh getan hat, so waren doch allesamt Gentlemen damals und hatten Manieren und Benimm! In den 90ern aber, ein Hansi Hinterseer, ein Dieter Bohlen oder ein Thomas Gottschalk im Fernsehen, das ist ja fürchterlich! Allesamt ein Beweis dafür, dass alles den Bach hinuntergeht, wenn zu viele das selbe wollen. Wofür, fragt sie sich, wofür muss denn ein Mann blond sein?
Jetzt also Schokotorte statt Haschischkuchen, und der Mick singt nur noch aus der Jukebox für sie „Angie“, „Aiiiingie!“, singt er, „With no lovin‘ in our souls and no money in our coats, we can‘t say we‘re satisfied!“
Das kann sie wirklich nicht sagen.
Die Discowirtin hat nun schon ordentlich Schlagseite. Der Afghane drückt schwer auf ihre müden Lider und hält die Erinnerungen hinter einem diffusen Schleier. Aber genau deswegen raucht sie ihn ja!
Durch den leisen Dämmer hindurch merkt sie nur sehr langsam, dass ein kalter Luftzug sie umweht, und als sie endlich zur Eingangstüre blickt, fragt sie sich, wie lange diese schon offen stehen mag, und ob dieses wunderschöne, aber ein wenig verwahrloste Wesen im viel zu großen Wetterfleck, das zitternd darin steht, ein Engel ist.
„Nowaja Semlja?“, hört sie den Engel leise flüstern, und jetzt weiß die Discowirtin endlich, wie die Engelssprache geht.
Wie eine Sackhüpferin ohne Sack hoppelt der Engel zu ihr her und nimmt an der Theke Platz. Dort streift er die Kapuze vom Wetterfleck ab, und die Gachblonde sieht das verfilzte und einstmals platinblonde Haar des Engels, blond und gelockt, ungezähmt und ungewaschen, so wie ihres einmal war, als sie mit dem Mick in Altamont herumlag, damals, als es in ihrem Leben noch keine einsamen Weihnachten und schmerzlichen Erinnerungen gab.
„Melange? Kleiner Brauner? Einen Brandy vielleicht?“, fragt die Discowirtin den Engel, sie selbst wird sich jetzt auch noch einen genehmigen. Aber ihr himmlischer Gast antwortet nicht. Die jungen Leute
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