Loecher, noch und noecher
die Bundesregierung treibt den einen die Freude aus und die anderen in die Armut. Das Puff wiederum, erinnert sie sich, war früher ein Selbstläufer und hat ihr wenigstens die Fixkosten gesichert. Wenn alles andere den Bach hinuntergegangen ist – die Hurerei hat sich immer rentiert. Die schwarze Perle Trinidad aus Tobago für den Mann, der sich gern im Exotischen verliert; die samthäutige, alabasterfarbene Schönheit Danuta aus Polen für die wenigen Gentlemen, die es noch gerne klassisch lieben; die scheinbar gemütliche, grobknochig-korpulente, aber zupackende Gertrude aus Garmisch-Partenkirchen für die strenge Kammer sowie die zwergwüchsige Franzi Kubelik für den Einlauf mit Zwetschkenkompott (plus Ziegenbock Ulf für den Mann mit dem besonderen Gusto) – man möchte meinen, damit deckt ein Etablissement heutzutage alles ab, wonach den Herren der Schöpfung die Sinne stehen. Aber weit gefehlt! Die Trinidad und die Danuta sind nur noch bei ihr, weil man nicht legal ausreisen kann, wenn man illegal eingereist ist. Und die Gertrude hat ihre Arbeit erst gestern hingeschmissen, ausgezehrt, körperlich und nervlich am Ende, „Ich kann nicht mehr“, hat sie gesagt, „Ich ertrage es nicht mehr“, hat sie gejammert, „Auch ich will zu Weihnachten Liebe und krieg doch immer nur Hiebe“, hat sie gereimt, und hat sie etwa nicht Recht?
Die Discowirtin merkt den Verfall der Sitten ja am eigenen Leibe, wenn sie sich hin und wieder noch selbst verschenkt, sie hat ja nichts verlernt seit ihren wilden Tagen und Nächten mit dem Mick. Immer wieder kommt es vor, dass sie einer „Stradivari“ nennt und „auch eine alte Geige spielt gut“ zu ihr sagt, das schmeichelt ihr dann schon sehr.
„Angie! Aaaaaaingie!“ hört sie den Mick aus der Jukebox fragen, „What‘s the sadness in your eyes?“
Eine tiefe Traurigkeit übermannt sie tatsächlich jedes Mal, wenn sie daran denkt, wie vor 35 Jahren alles begonnen hat, ihr persönliches kleines Wirtschaftswunder. Mit dem „Club“ (o.k., Puff) La blonde Vlies hat sie in Goisern herüben den Grundstein für ihr Gastroimperium gelegt, nachdem sie drüben in Aussee das Honckeytonk zusperren und vor dem fanatischen Rock‘n‘Roll-Hasser Biermösel hat flüchten müssen. Das Kamasutra hat sie damals aus Indien mitgebracht, wo sie mit dem Mick einen herrlichen Sommer der Liebe verbrachte, und das Haschisch und die Wasserpfeife gleich mit dazu. Ein paar alte Matratzen und Honigwachskerzen vom Adventmarkt in Ischl, mehr hat sie für den Anfang nicht gebraucht, ein Tempel der Wollust lebt ja vor allem von der Atmosphäre.
Dabei war schon in den Seventies alles gar nicht einfach, schon damals die Rahmenbedingungen sehr schwierig (die Erdöl-Krise!), und das gesunde Volksempfinden ist über sie hinweggefegt wie die große Pratze vom Biermösel über das Haupthaar der kleinen Rotzbuben, wenn er wieder einmal Pädagogik unterrichtet. Aber bald hat die Discowirtin gemerkt, dass die Wertkonservativen von der „Hilf dir selbst, wir helfen dir nicht!“-Partei, die am Stammtisch nach dem Besuch des Gotteshauses über ihr Hurenhaus hergezogen sind, während Woche ihre besten Kunden waren. Schnell hat sie verstanden, dass erst der Arschfick kommt, und dann die Moral.
In den 80er Jahren schließlich ihre unternehmerische und gesellschaftliche Glanzleistung, ihr kaufmännisches Bravourstück: Sie hat sich den „Stadl“ dazugepachtet und die Bauerntrottelhütte in Blondi umbenannt, bevor die Discowelle verspätet über Österreich hereingeschwappt ist. Mit dem Blondi hat sie sich ein wenig in den Sparstrumpf legen können, einem wie dem Jackpot Charlie auf der Ackerbau- und Viehzuchtbank würde sie nie nie nie ihr Geld anvertrauen. Erst letzte Woche wollte die Franzi Kubelik ihre ganzen Ersparnisse abheben, weil sie sich auf ein Leben mit dem Lindbichler gefreut hat, aber da war nichts mehr drauf.
„Wie geht denn so was?“, hat sie den Jackpot Charlie von ganz tief unter dem Schalter hinauf gefragt, und der hat sie von oben herunter angebrüllt, als hätte er ein schlechtes Gewissen: „Das weiß ja ich nicht, und jetzt schleich dich, du Hurenfut!“ Auch ein innerlich sehr verbogener Mensch, dieser Jackpot Charlie. Gar nicht zu vergleichen mit ihren ganzen früheren Freunden, die damals während dem Disco-Wahnsinn alle regelmäßig zu ihr gekommen sind, der Warhol Andy, der Deutscher Drafi, die Harry Debbie, der Reed Lou, der Bowie Vidi und natürlich der Mick.
Wehmütig
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