Löffelchenliebe (German Edition)
Wollen Sie mir nicht Ihre Telefonnummer geben ? Einer meiner ehemaligen Kollegen würde sich bei Ihnen melden. Ich sag ja immer: Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, trifft auf die absurdesten Exemplare unserer Spezies.« Er klopft mit seinem Spazierstock gegen den Laternenpfahl.
»Psst«, zische ich und ducke mich noch ein Stück tiefer.
»Herrje, und schreckhaft sind Sie auch noch. Sind Ihnen Licht und Geräusche ein Graus ? Schauen Sie lieber anderen Menschen beim Leben zu, als selbst zu leben ? Eine hochinteressante Kombination !«
»Bitte«, flehe ich, »würden Sie mich freundlicherweise allein lassen ?«
»Nur, wenn Sie mir Ihre Telefonnummer geben. Wir leben schließlich in einer Tauschwirtschaft.« Er kichert, wie Richard manchmal kichert. Nur dass dieses Kichern kein bisschen nett klingt.
Er kramt in seiner Manteltasche, dann hält er mir Zettel und Stift unter die Nase und leuchtet mit der Taschenlampe darauf. Schnell schreibe ich eine ausgedachte Nummer auf. Er leuchtet mir noch einmal mitten ins Gesicht.
»Eine notorische Lügnerin ? Na, wir werden sehen. Und jetzt breiten Sie die Arme aus, und fliegen Sie davon wie ein Vogel. Tschiep, tschiep.« Er kichert wieder. »Oder kriechen Sie in ein Mauseloch. Die richtige Größe hätten Sie ja.« Er klopft noch einmal mit seinem Spazierstock gegen den Laternenpfahl, bevor er pfeifend weiter seines Weges geht.
Langsam löse ich mich aus meiner Schockstarre. Meine Knie knacken. Vorsichtig richte ich mich auf und linse hinter dem Pfahl hervor. Sofort falle ich zurück in die Ententanzhocke. David lehnt jetzt direkt am Fenster, mit dem Rücken zu mir. Ich könnte die Hand ausstrecken und seinen Po berühren. Ich unterdrücke einen Aufschrei.
Als ich mich wieder einigermaßen gesammelt habe, richte ich mich abermals auf und mache einen entsetzten Schritt zurück. Neben ihm steht, im Profil, eine blonde junge Frau im hautengen Leopardentop. Ihr straffer, vorgewölbter Bauch, der über der knappen Jeans nackt hervorblitzt, ist definitiv nicht das Resultat von gutem Essen. Die ist mindestens im sechsten Monat !
Ich starre auf die monströse Kugel, die sich vor meinen Augen immer weiter ausdehnt und bald schon die gesamte Fensterfront des Rosalies ausfüllt, und torkele rückwärts. Dann drehe ich mich um und laufe los.
Sechzehn
H e y , Anna, was machst du denn hier draußen ? Du hättest doch auch drinnen auf mich warten können. Musst doch nicht hier in der Kälte herumrennen.«
Hector schwingt sich aus seinem Porsche und fängt mich im Laufen ab. Fassungslos starre ich ihn an.
»Was machst du denn hier ?« Meine Stimme ist nicht viel mehr als ein heiseres Krächzen.
»Ich nehme an, dasselbe wie du«, sagt Hector fröhlich und betätigt die automatische Türverriegelung. Es piepst. »Ich freu mich schon darauf, endlich die Bar von deiner Freundin kennenzulernen. Sieht nett und, äh, jugendlich aus.« Er mustert die dreckige graue Fassade.
Oh nein, das hatte ich ja total vergessen. Nach dem Ballett, als er mich vor meiner Haustür verabschiedet hat und ich ihn nicht mit hereingebeten habe, haben wir uns für heute Abend auf einen Drink im Rosalies verabredet. Ein unverbindliches Treffen auf neutralem Boden erschien mir nach dem Stengelmann-Fiasko besser als ein weiteres Candlelight-Dinner mit vorhersehbarem Ausgang. Um ehrlich zu sein hatte ich in der Zwischenzeit völlig vergessen, dass Hector überhaupt existiert.
»Weißt du«, sage ich mit letzter Kraft, »mir ist plötzlich so schummerig zumute. Ich glaube, ich fahre lieber nach Hause und lege mich hin.«
»So wie neulich bei mir im Badezimmer ?«
»So ähnlich, nur viel, viel schlimmer.«
»Vielleicht bekommst du einfach zu wenig Luft. Zieh erst mal den Schal von der Nase und die Decke vom Kopf.« Er greift nach der Erste-Hilfe-Decke.
»Nein !«, rufe ich. »Mir ist eiskalt.«
»Dann komm, lass uns schnell ins Warme gehen und einen heißen Tee bestellen. Haben die so was ? Oder gibt’s hier nur Bier aus der Flasche ?«
Er tritt an die Scheibe heran und späht ins Innere.
»Nicht !«, rufe ich panisch und ducke mich hinter seinen Porsche.
Hector dreht sich nach mir um. In seinem dunklen Anzug und den glänzenden Schuhen wirkt er in dieser schrammeligen Gegend vollkommen deplatziert. Seine Absätze klackern beim Gehen auf dem Asphalt.
»Guck mal«, sagt er, als er mich erspäht hat, »hier nebenan gibt es Essen aus der Türkei. Hast du so etwas schon mal gesehen ?«
»Oh ja !«,
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