Löwenherz. Im Auftrag des Königs
damit nicht erbberechtigt.«
Robert hatte natürlich Recht. Doch wie sollte Edith jemals vor König Richard treten und ihn um seinen Schutz bitten – jetzt, da sie wusste, dass sein Schicksal so unheilvoll mit dem ihren verknüpft war? Verflucht, warum war sie bloß zu Brida gegangen?
Aber sie mussten es trotzdem tun. Richard Plantagenet war Englands große Hoffnung. Das Volk liebte ihn, weil er fröhlich und geradeheraus war. Er schaffte es sogar, seinem unsicheren, neidischen, sich von Gott und der Welt verhöhnt fühlenden kleinen Bruder Jean Zuneigung entgegenzubringen. Von einem solchen Mann konnten sie Beistand erwarten.
Edith schob ihre Schüssel weg. Ihr war übel.
»Die Krönungsfeierlichkeiten beginnen in ein paar Tagen«, sagte Robert. »Da wird allerhand Volk am Hof sein – es wird bestimmt niemandem auffallen, dass wir gar nicht eingeladen sind.«
»Na gut.« Edith wagte nicht, Robert von Bridas Prophezeiung zu erzählen. Vielleicht war das ja auch alles Humbug – ein Mädchen, das einen König ins Verderben stürzt … Allerdings musste Edith zugeben, dass die erste Voraussage der Alten tatsächlich eingetroffen war: Auf Kyme hatte tatsächlich ein neuer Herr Einzug gehalten.
Robert spann unbeirrt seinen Plan weiter: »Mutter und Victor sind bestimmt noch die nächsten zwei Tage auf Falkenjagd und werden unterwegs bei Pächtern Quartier nehmen. Das müssen wir nutzen. Wir verschwinden morgen bei Tagesanbruch. Ich lasse Pferde und Ausrüstung fertig machen. Wir sagen, wir besuchen … hm, wir besuchen …«
»… wir besuchen Sir Harold Stewart, um nach den Fohlen vom Frühjahr zu sehen«, schlug Edith vor.
»Genau! Das ist nur ein Ritt von ein paar Stunden. Die Knechte werden uns allein gehen lassen. Und es wird kaum auffallen, wenn wir heute Abend nicht auf die Burg zurückkehren. Alle werden glauben, wir übernachten bei Sir Harold.« Robert nahm den letzten Löffel Brei und wischte sich über den Mund. »Hast du keinen Hunger mehr?«
Edith schüttelte den Kopf. Robert zog ihre Schüssel zu sich heran und begann auch den Rest ihrer Portion genüsslich zu vertilgen.
»Für eine Abenteuerfahrt braucht ein Ritter jede Menge Kraft!«, erklärte er. »Außerdem ist es ein weiter Weg von Yorkshire nach London.«
Eine Abenteuerfahrt , dachte Edith bitter. Genau das ist es. Eine Abenteuerfahrt mit einem jungen Narren, einem gütigen König und einer Hexe, die dem König den Tod bringt.
5
V ier Tage später waren sie etwas nördlich von Nottingham und zogen die Pferde in den Stall einer Herberge neben der Straße. Im Westen war Donnergrollen zu hören. Bis jetzt hatten sie Glück gehabt: Obwohl das Spätsommerwetter in England meist unbeständig war, waren sie bisher von Regen verschont geblieben. Edith hatte trotz des heraufziehenden Gewitters weiterreiten wollen, in der Hoffnung, im Notfall unterwegs einen Unterstand in einer alten Scheune oder einem Schuppen zu finden, aber Robert hatte sich durchgesetzt.
»Willst du mit nassen, schimmeligen Klamotten vor König Richard treten?«, hatte er gefragt und Edith hatte grummelnd nachgegeben.
»Glück gehabt«, meinte er jetzt und spähte durch die geöffnete Stalltür hinauf in den schwarzen Himmel. Der Donner hallte lauter, immer stärker werdende Windböen brachten schon den Geruch von Regen.
»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte Edith.
Robert wandte sich halb überrascht, halb genervt zu seiner großen Schwester um. »Was gefällt dir denn hier nicht? Wir haben schon in schlimmeren Bruchbuden übernachtet. Wenn ich an den Schuppen vorgestern denke …«
»Genau das macht mir Sorgen«, sagte Edith. »Die Preise hier sind ziemlich hoch. Hast du dich schon mal gefragt, wie lange unser Geld noch reichen wird?«
Robert schwieg. An das Geldproblem hatte er noch gar nicht gedacht. Sie hatten allerdings auch nicht sehr viel Zeit gehabt, ihre Flucht zu planen. Sie hatten zwei Pferde genommen und ein Maultier für ihr Gepäck und sie besaßen ausreichend Vorräte. Der Mundschenk hatte ihnen Rauchfleisch, Brot und Trockenfisch als Gastgeschenke für Sir Harold mitgegeben. Robert führte einen Bogen, Pfeile, eine Streitaxt und ein Kurzschwert mit sich. Das Schwert war ein Geschenk von Lord Wilfrid zu Roberts zwölftem Geburtstag gewesen. Nur wer zum Ritter geschlagen worden war, durfte offiziell das Langschwert und die Lanze führen, die Standessymbole der Ritter. Edith hatte Reisekleidung zum Wechseln für sich selbst und Robert
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