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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Unterarme zeigt Altersflecken, der Anblick meiner Füße entsetzt mich; es sind diejenigen eines alten Mannes. Ich habe mir wieder das gelbliche Mäntelchen angezogen; es bedeckt meinen gedunsenen Leib nicht mehr, es stellt ihn aus. Die Blumenschale am Fenster bleibt leer; auch die Klause beginnt zu verwahrlosen.
    Da erinnerte ich mich an meiner Väter Sitte, in trostloser Lage die Bibel aufzuschlagen, die Augen zu schließen und mit einer Nadel nach Gottes Wort zu stechen: dann führt Er dem Zufall die Hand.
    Ich hatte keine Nadel. – Doch: war nicht einmal eine Haarnadel Nadeschdas liegengeblieben, und ich hatte sie aufgehoben – nur wo? Aber bevor ich zu suchen begann, fiel mir die Gelegenheit wieder ein, bei der sie verlorengegangen war. Wir waren ineinander verdämmert, da versetzte mich ein Traum in den Oberstock des
Einhorns
zu Portsmouth. Ich sah den Riesen Golownin vor mir, der einen Mann, den er von hinten umschlungen hatte, in die Luft hob, aber die Bewegung war nicht herrisch, und es war auch nicht Chwostow, den er festhielt.
Mich selbst
sah ich aufgehoben, als noch jungen Mann, und meine Uniform war kein Flickwerk, sondern diejenige des Fähnrichs, die ich zum ersten Mal auf dem Weg nach Zarskoje Selo getragen hatte. Es war ein Augenblick der Entrückung. Solange der Riese meinen Rücken stärkte, konnte mir nichts geschehen. Zugleich aber lag ich bei Nadeschda, und ihr Schoß umfing mich wie die warme Hand einen Vogel, der aus dem Nest gefallen ist.
    Jetzt erinnerte ich mich, wo ich die Nadel gelassen hatte: als Lesezeichen in Golownins Buch. Ich drückte ihre Drahtschenkel zusammen, schloß die Augen, öffnete den Folianten im letzten Viertel und las endlich die Stelle, die ich getroffen hatte:
    Jch bin komen/das ich ein Fewer anzünde auff Erden/Was wolt ich lieber/denn es brennete schon?
    6 Das Kabinett begann sich mit Uniformen zu bevölkern, dunkelblauen, betreßten Mänteln russischer Seeoffiziere, und die Hutablage war mit Dreispitzen belegt, deren Federbüsche auf hohen Rang schließen ließen. Fast deckten sie den Samurai, und das Damenkleid war ganz verschwunden. Ich glaubte, vor der verstopften Garderobe eines Kasinos zu stehen, doch ließ sich kein Mensch blicken.
    Das nächste Mal, als ich aus dem Garten kam, war Nadeschdas Schuhwerk wieder zur Stelle, aber ohne ihr Kostüm. Die übrigen Hüllen hingen wie eine Jagdstrecke an der Stange, und die gewichsten Männerstiefel starrten aufdringlicher als je. Ich hatte mich schon zum Gehen gewandt, da fiel mir am oberen Ende von Nadeschdas Stiefelchen etwas Merkwürdiges auf: ein Fingerbreit nacktes Fleisch. Die Fortsetzung war von einem Marinemantel verdeckt, der sich wölbte, als berge sich dahinter eine Menschengestalt, aber sie verriet sich durch keine Bewegung.
    Als ich mitten in der Nacht aufwachte, hörte ich Stimmen vor den Fenstern, sie schienen Deutsch zu sprechen, aber durch die Luken nahm ich nur einen Fackelschein wahr. Er huschte über die Fassaden der Arkade gegenüber.
    Am nächsten Tag stand Yoshi mitten im Durchgang zum Waschsaal; jemand hatte ihn aus der Garderobe entfernt, denn jetzt war diese zum Bersten gefüllt mit Uniformteilen, Mänteln, Überwürfen und einem Gedränge von Stiefeln, als kampiere ein ganzes Geschwader auf der Gryllenburg. Ich hob die Rüstung am Ständer auf und trug sie in meine Klause. Dann ging ich in den Garten.
    Ich baute aus aufgescharrten Trümmern drei Steinsäulen auf, ähnlich den Felstürmen der Awatscha-Bucht. Sie mochten das letzte sein, was Moor gesehen hatte, bevor sein Zeh den Flintenhahndrückte. Ich hatte sie neben dem Wrackhaufen so nahe bei der Plattform plaziert, daß ein Betrachter, der nur ins Weite blicken wollte, sie nicht bemerken mußte.
    Dann fing ich wieder an, Steine zu komponieren, in fünf Gruppen; einem Blick aus großer Höhe konnten sie wie Inseln erscheinen, mit Rändern von Dünung, die ich mit Hilfe einer Eßgabel wellenförmig in den Sand zeichnete. Moor hatte an der Geringschätzung Anstoß genommen, die Golownin für den Garten in Matsumai hatte. In meinem, wo es keine Spur von Grün gab, hätte er wohl nur einen Kindersandkasten mit ein paar Stolpersteinen gesehen.
    Deutsche Laute vor meinen Schießscharten, schallendes Lachen, Männer und Frauen. Ein Klavier, Takte eines Gassenhauers; die Begleitung einer Singstimme. Tremolo, Koloratur. Bricht wieder in Lachen ab, Applaus, lauteres Gelächter. Dazwischen eine hohe Stimme, die Achtung gebietet; der Lärm legt

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