Loewenstern
Kraft.
Töten lernen
, antwortete sie leise und ließ dann ebenso brüsk wieder los.
Sie stand auf, fuhr sich durchs Haar und knüpfte den Gürtel fester.
Hermann Ludwig von Löwenstern, sagte sie. – Benötigen Sie noch etwas? Dann bitte ich um Erlaubnis, mich zurückzuziehen.
4 Am nächsten Morgen, als ich vor meinem Garten stand und sah, daß daran nichts mehr zu tun war, packte mich, wie angeworfen, die Wut. Ich stürzte mich auf die geharkte Wüste und begann, die Brocken, die darin versenkt waren, mit nackten Händen wieder auszuscharren, grub wie ein verhungerter Hund nach einem Knochen oder wie ein Rückkehrer nach einem vergrabenen Schatz, der sich nicht mehr findet. Schweißtriefend stellte ich die Unordnung wieder her, die ich vor unbestimmter Zeit vorgefunden hatte, lief Amok gegen die Steine und ließ sie wüst durcheinander liegen: es reichte mir! Aber was?
Als ich gesäubert und nackt in den Korridor trat, stockte mein Schritt. Vor der Tür zur Klause, im leeren Kabinett an der Wand,wo ich meine Kleider erwartete, hing ein russischer Offiziersmantel mit den Insignien eines Marine-Kapitänleutnants. Das gelbe Mäntelchen und die Bauerntracht verdrückten sich hinter dem blauen Uniformstoff, dessen Filz mich frösteln ließ wie die Berührung eines ganz fremden Körpers. Ich schlüpfte in Hemd und Hose und betrat meine Klause; sie war leer, bis auf Yoshi, der mir lebendig vorkam. Neben dem Tagesgedeck lag die
St. Petersburger Zeitung
vom 13. Mai 1817. Auf der Titelseite meldete sie, daß die
Kamtschatka
unter dem Kommando des Kapitänleutnants Wassili Michailowitsch Golownin gestern in Kronstadt für eine neue Weltumsegelung ausgelaufen sei. Zar Alexander persönlich habe die Fregatte verabschiedet, in Gesellschaft des Kommandanten von Petersburg, Pjotr Petrowitsch Rikord. Sie sei nach Golownins Wünschen gebaut worden, und unterstellt seien ihm junge Offiziere, die man im Hinblick auf ihren Forschungsauftrag – der ungenannt blieb – ausgewählt habe, die Unterleutnants Wrangel, Litke und Matjuschkin; ferner begleiteten ihn die Brüder seiner Braut als Seekadetten, Ardalion und Feopempt Lutkowski.
Der Artikel war mit Bleistift angestrichen. Ich hatte eine Vision: die Halbinsel Kamtschatka löst sich vom Festland und nimmt als
Kamtschatka
Fahrt auf Japan, verhängt von gestreiften Stoffbahnen, hinter denen die Geschütze scharfgemacht werden.
Das Klopfen an der Tür schreckte mich auf. Es hatte etwas von einem Alarmzeichen. Augenblicklich packte auch mich die Ungeduld. Statt Nadeschda eintreten zu lassen, verstellte ich die Tür und deutete auf die Uniform in meinem Kabinett.
Was ist das? fragte ich.
Im Gegenlicht aus dem Waschsaal war ihr Gesicht nicht zu lesen.
Erkennen Sie Ihr Ehrenkleid nicht wieder? fragte sie. – Es geht los, Baron. Sie müssen sich entscheiden: töten oder sterben?
Wofür? fragte ich.
Lassen Sie mich ein? fragte sie.
Im Kerzenlicht der Klause wirkten ihre schlanke Gestalt, das lange weiße Kleid eher unheimlich als vertraut. Sie hatte keine Blumengebracht, war aber selbst an die Stelle getreten, wo sie sich sonst mit dem Zimmerschmuck beschäftigt hatte, und wandte mir den Rücken zu. Ihre Schultern, die der Schal entblößt hatte, zuckten. Sie erinnerte mich an ein Bild, das mir als jungem Mann Eindruck gemacht hatte: Marie Antoinette auf dem Weg zum Schafott. Abgewendet sagte sie: Die
Kamtschatka
ist gerade losgefahren. An Bord ist die Revolution. Wenn sie Petropawlowsk erreicht, erhebt sich Petersburg, und Rußland sprengt seine Ketten. Wir kommen dran, Ermolai.
Was soll ich tun?
Sie töten den Zaren, sagte sie.
Ich lachte. – Und wer tritt an seine Stelle?
Die Freundschaft, sagte sie. – Golownin und Rikord vereinigen sich, und dann erheben sie den neuen Menschen auf den Thron. Eine Frau.
Dahin kommt es noch, sagte ich.
Ja, dahin muß es kommen, sagte sie. – Und es kommt darauf an, daß Sie auf der rechten Seite sind.
Wohin fährt die
Kamtschatka
? fragte ich.
Nach Japan, sagte sie. – Japan steht auf.
Ich erschrak. War ihr noch zu helfen? Nadja, sagte ich.
Sie drehte sich um. Ihr Gesicht war blaß und starr, wie bei unserer ersten Begegnung, und die Pupille so klein, daß die Iris fast weiß wirkte.
Nur noch einmal mußt du ein Mann sein, sagte sie mit fast geschlossenen Lippen.
5 Ich erinnere mich nicht,
Exzellenz,
wann ich zum letzten Mal eine Zeitung in der Hand gehabt habe. Mit scheint: vor bald fünfzehn Jahren, im
Foreign
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