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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Ihr Stoff.
    Hoffentlich weiß Kotzebue, wie man ihn behandelt.
    Soll ich Sie ihm vorstellen? fragte ich.
    Ich lese lieber erst das Libretto, sagte ich.
    Bitte schön, sagte sie und zog eine Broschur aus dem Dekolleté.
    Ein russischer Kammerherr namens Nikolaj Resanow, Manager der Russisch-Amerikanischen Pelz-Compagnie, hat seine Frau begraben müssen und sucht eine neue Herausforderung. Er erhält vom Zaren den Auftrag, in den russischen Kolonien am Pazifik nach dem Rechten zu sehen. Mit seinen Schiffen
Juno
und
Avos
– kommandiert von Chwostow und Davydow, zwei Tunichtguten – reist er nach San Francisco und kommt gerade recht zum 18. Geburtstag der Tochter des spanischen Gouverneurs. Er führt ein Diadem der Zarin Katharina mit, das er ihr verehren kann. Aber es ist seine vornehme Persönlichkeit, mit der er das Herz der reinen Conchita gewinnt, obwohl sie schon Fernando versprochen ist, einem ritterlichen jungen Mann. Der Altersunterschied zwischen dem vierzigjährigen Witwer und der jungen Dame ist erheblich, aber die Liebe überwindet auch diese Schranke. Dazu verwendet sie einen Gottesdienst, zwischen zwei Gebeten an die heilige Gottesmutter. Diese wird Zeugin einer unverhofften Hochzeit, aber auch der Schwüre ewiger Treue, mit denen sie besiegelt wird. Der Vater beugt sich der höheren Macht, aber noch steht dem Glück des Paars zweierlei im Wege. Zuerst Fernando, der in einem Duell überwunden werden muß, bevor er bereit ist, sich selbst zu überwinden. Dann fehlt aber auch noch der Segen des Zaren. Resanow muß also nach Petersburg eilen, um das Einverständnis seines Herrn zu gewinnen; er will aber auch seine Kapitäne nach Rußland rückführen, denn Chwostow und Dawydow haben in Amerika wieder nicht gutgetan. Wie sollten die Liebenden ahnen, daß der tränenreiche Abschied, den sie einstweilen voneinander nehmen müssen, für immer ist? Aber eben so will es das grausame Schicksal. Resanow kommt auf der Rückreise durch das wilde Sibirien ums Leben, Conchita faßt es nicht, tritt in ein Kloster ein, um seine Rückkehr abzuwarten, und wartet dreißig Jahre, bis zu ihrem Tod. Aber dieser darf nicht eintreten, ohne daß ihn die Erscheinung Resanows begleitet. Und in einem letzten Hosianna der Liebe verewigt sich die Treue des Paars zum jubelnden Wunder der Überwindung von Zeit und Tod. Im gnadenreichen Schoß der reinen Mutter Maria bleiben der russische Held und seine amerikanische Braut vereinigt für immer
.
    Die Kühnheit des Wurfs springt in die Augen. Dabei gibt es zwei Punkte, die Kotzebue bewegt haben, das Stück vorerst in aller Stille zu probieren und die Mitwirkenden zum Stillschweigen zuverpflichten. Beide betreffen kritische Vereinigungen. Zuerst diejenige von Mann und Frau im Kirchenraum – an ihrer Körperlichkeit läßt die Musik keinen Zweifel offen. Die Handharmonika, in Vertretung der vollmundigen Orchesterorgel, schmachtet unzweideutig genug, auch wenn sie sich zugleich der Tonsprache christlicher Passion bedient. Der andere heikle Punkt betrifft natürlich die verschiedenen Bekenntnisse. Das Martyrium der Sünde – die Heilige Jungfrau mag ja ihren Segen dazu geben. Aber auch der Papst und der Metropolit? Und der Zar, das weltliche und geistliche Oberhaupt des rechten Glaubens? Und was sagt die Heilige Allianz dazu?
    Gelingt es aber, das Meisterwerk an der Zensur vorbeizuretten, so hat Goethe nichts mehr zu lachen. Resanow wird «Faust» in den Schatten stellen, doch dafür muß Kotzebue selbst aus dem Schatten von Neid und Übelwollen treten, der seinen Erfolg hartnäckig begleitet – seine Stücke aber nicht daran hindern kann, auf allen Bühnen der Welt ein enthusiastisches Publikum zu finden. Kotzebue kennt seine Pappenheimer. Wenn das Stück schwach ist, kommt es auf große Stimmen an. Wer hört dann noch, was sie sagen?
    Solange sie kein Orchesterklang begleitet, hört man es unerbittlich. Nur wenn Conchita Spanisch singt und Lateinisch betet, versteht man glücklicherweise kein Wort. Die Stimmen
tragen
, da ist nichts zu sagen – diejenige Resanows überspannt mühelos vier Oktaven. Russisch klingt immer, und wenn ihm noch ein großer Chor zu Hilfe kommt, klingt es nach Himmelreich. Der Weltmann Kotzebue weiß, wie man die Religion einspannt; und da sein Komponist auch ein Gespür für die Gasse hat, kriecht ein Ohrwurm nach dem andern durch meine dicken Mauern. Ich ertappe mich dabei, wie ich nur auf den nächsten Schlager warte, um mitzusummen. Jeder Triller ist ein

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