Loewenstern
Schrei nach Liebe, jedes Couplet ein Traum von Arm-in-Arm mit einer besseren Welt. Der Rest ist Seele, und die russische bleibt auch gern unverstanden. Es kommt ihrem Vibrato zugute.
Ach, Löwenstern ist von Zweifel und Spott noch nicht geheilt.Nun bekommt er,
Halleluja der Liebe!,
zur Strafe die Ohren Tag um Tag vollgestrichen mit Sündenschmalz. Kotzebue muß mit hundert Leuten in die Gryllenburg eingefallen sein. Kein Wunder, daß sich Nadeschda nicht mehr blicken läßt. Sie kann die Frage nach meiner Mitwirkung nicht ernst gemeint haben. So sitze ich doppelt allein in meiner Klause, und es sind die chinesischen Raben, die mich atzen, ohne Worte und schnell wieder flüchtig. Ich löffle lustlos Massenkost, die gleiche offenbar, mit der die Schauspieler abgefüttert werden. Doch von der abendlichen Geselligkeit, deren Laute aus der Tiefe der Burg zu mir herüberdringen, bin ich ausgeschlossen und falle in alte Löcher der Lebenseifersucht zurück. Denn wie ich Nadeschda kenne, ist sie mitten unter den Leuten und gönnt sich so viel Amüsement, wie sich mit ihrer Rolle als Gastgeberin verträgt. Endlich wieder Gesellschaft! Willkommen in Petropawlowsk!
Seit der Tag durch die Probenarbeit gegliedert ist, hat sich auch das Zeitgefühl wieder eingeschlichen: Tag und Nacht sind deutlich unterschieden, nur ich selbst bin gleichmäßig allein. Es ist lange her, daß ich mich an Nadeschda so sehr gewöhnt hatte, daß ich sie kaum noch vermißte. Jetzt aber warte ich, warte bis zur Sehnsucht – das Feine der Liebe macht sich schmerzhaft bemerkbar, wenn das Gröbere außer Reichweite gerät. Löwenstern ist nicht dabei, muß froh sein, wenn er noch mitessen darf. Ich lausche begierig, kann nicht erwarten, bis die Harmonika wieder zu klagen beginnt. Ihr Jammer ist der meine. Gefühl bleibt Gefühl, ich gebe auf, ihm auf die Finger zu sehen.
Ich war kein sonderlich musikalisches Kind, aber wenn in Rasik Hauskonzert war, schlich ich mich in die erste Reihe, denn nie zeigen Menschen, bekannte und unbekannte, so viel Körper, sogar meine Schwestern. Die hoch atmenden Busen, die unwillkürlich geöffneten Lippen, die zuckenden Hüften. Und ich tat so, als ob ich all dies gar nicht sehen wollte, dabei wollte ich
nichts anderes
sehen. Wie gern hätte ich sogar die Sonntagsschullehrerin nackt erlebt –
jede
Frau.
Halleluja der Liebe
.
7 Als sie wiederkam, erkannte ich sie wieder nicht. Ich sah eine spanische Witwe ganz in Schwarz, mit langem durchbrochenen Kleid und einem breiten Hut, von dem ein Schleier hing. Der sichtbare Teil ihres Gesichtes war kalkweiß, auch die Schminke der Lippen, aber der eine Mundwinkel war immer noch fester als der andere. Daran erkannte ich sie, und es ließ mein Herz hüpfen.
Ganz
entfesselt war sie noch nicht.
Sie sind ja schon dabei, sagte ich.
Sie kommen auch dran, Herr von Löwenstern, sagte sie. – Der Chor der russischen Seeleute braucht Verstärkung. Aber auch im Gefolge des Alkalden von San Francisco werden noch Herren benötigt. Ich schicke heute die Schneider vorbei, damit sie Ihnen Maß nehmen, für einen Abendanzug. Morgen muß er fertig sein, denn übermorgen treten Sie auf.
Ich hob die Brauen.
Kommt es zu plötzlich? fragte sie. Und war kaum aus dem Raum, als ihn zwei bezopfte Chinesen unbestimmten Alters betraten; sie trugen schwarze Pyjamas. Ausdruckslos und ohne ein Wort rollten sie ihre Bänder an meinem Körper aus, vermaßen ihn nach allen Richtungen und schlürften Luft durch die Zähne; Notizen hatten sie nicht nötig. Für einen Sarg, dachte ich, brauchten sie nicht so viele Umstände zu machen. Als sie verschwunden waren, aß ich ein paar Bissen und legte mich hin, ruhelos wie ein Prüfling. Mußte dann doch eine Weile geschlafen haben, denn als ich aufwachte, war draußen schon die Probe im Gange.
Aber was hing da neben dem Bettkasten am Gestell, einem sogenannten Herrendiener? Ein mehrteiliger Abendanzug ganz in Schwarz, auch die Knöpfe. Weiß war nur das Rüschenhemd, das ich mir als erstes über die nackte Haut zog. Dann wand ich mir die Leibbinde um, die meinen Umfang bändigte, stieg in die Pantalons, schlüpfte in die Weste, an der es viel zu knöpfen gab, legte die hellblaue Schärpe um, an der ein Phantasieorden haftete, und schließlich den Frack mit den Schwalbenschwänzen. Alles paßte so angegossen, daß ich mich fast beweglicher fühlte als in nacktem Zustand, und am Ende knüpfte ich mir noch das grauseidene Foulardum den Hals. Blieben noch die
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