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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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sich nur zögernd. Die Stimme expliziert lang und breit; Mann oder Frau? Ich verstehe kein Wort, und durch die Fensterluken erreicht mein Blick den Erdboden nicht.
    Als Nadeschda erscheint, trägt sie ein dunkelgrünes Faltenkleid ohne Gürtel über Haremshosen in gleicher Farbe und auf dem Kopf eine Zobelmütze. Die Büste steckt in einem silberfarbenen Jäckchen, dessen Stickereien Schulterstücke andeuten. Sie hält die Tür für eine zweite Person auf, die, ganz in Schwarz, mit dem Gedeck hereinhuscht: kaum hat sie es auf den Tisch gesetzt, ist sie auch wieder verschwunden. War das zerknitterte Gesicht nicht dasjenige eines Chinesen? Und plötzlich steigt eine peinliche Erinnerung auf. Diesen Kopf hatte Horner in Kanton vom Galgen entwendet und brachte ihn vor Sonnenaufgang, in ein Tuch eingeschlagen, auf unser Zimmer. Es war ein Geschenk der Wissenschaft an seinen Freund Gall, den Schädelsammler. Als Kopfjäger hatte ich meinen Freund noch nicht kennengelernt und bestürzt zugesehen, wie er seine Beute in Zitronensäure einlegte.
    Es gibt
loup de mer
, sagte Nadeschda, soll ich Ihnen vorlegen?
    Selbst ist der Mann, erwiderte ich. – Was ist das für ein Lärm?
    Ich habe Sie gewarnt, sagte sie. – Einmal mußte es kommen. Kotzebue probt sein neues Stück. Es soll im Dezember in Reval aufgeführt werden, und, wenn es die Zensur erlaubt, auch in Petersburg.
    Kotzebue? fragte ich. –
Der
Kotzebue?
    Der Theatermann, sagte sie, er feiert Triumphe, eilt von Erfolg zu Erfolg. Zweihundertfünfzig Stücke, in einem habe ich mitgewirkt. Diesmal wird es ein Trauerspiel.
    Seine Söhne waren auf der
Nadeschda
, als Kadetten.
    Inzwischen ist Otto Kapitänleutnant und wartet auf seine erste Weltumsegelung. Moritz stürmt den Kaukasus, ein hochdekorierter General. Aber Sie dürfen den Fisch nicht kalt werden lassen.
    Nadeschda, sagte ich. – Wo liegt die Gryllenburg?
    Sie gehört zum Besitz Peter von Manteuffels, sagte sie.
    Dann konnte ich nicht allzuweit von zu Hause sein. Manteuffel war ich noch nicht persönlich begegnet, aber er war als der verrückte Graf bekannt und meist auf Reisen. Er besaß Güter, die so viel abwarfen, daß er sich mit der Herstellung von Flugmaschinen beschäftigen konnte. Er sorgte aber auch als Philanthrop für seine Leute, versuchte, ihnen Lesen und Schreiben beizubringen und die Alkoholsucht abzugewöhnen. Da er nur auf estnisch publizierte, las ihn in Reval kein Mensch.
    Er ist kaum je hier, sagte sie, er hat das Gut seiner Tochter überschrieben, aber auch sie lebt meist in der Stadt. Kotzebue hat freie Hand.
    Und Sie sind für die Gryllenburg zuständig, sagte ich.
    Da Sie nicht mehr der einzige Gast sind, kann ich mich nicht im Lotterkleidchen zeigen. Schauspieler haben es gerne bürgerlich.
    Spielen Sie mit?
    Am Rande. Ich hoffe, Sie spielen auch mit, Herr von Löwenstern.
    Ich begann mit dem Tranchieren des Seewolfs. – Ich würde mich freuen, wenn Sie sich dazusetzten.
    Vielleicht später, erwiderte sie leichthin. – Zur Zeit gibt es viel zu tun. Ich bleibe nur, damit Sie überhaupt essen.
    Probieren müssen Sie, sagte ich und reichte ihr die Gabel mit einem Bissen Fisch, den sie, im Geist ihrer Rolle, mit einem Knicks zum Mund führte.
    «Resanow oder Die Ewige Treue», sagte sie. – Eigentlich ist es eine Oper, aber das Orchester kommt später dazu. Hier ist es nur durch ein paar Instrumente vertreten.
    Ich höre sie, sagte ich. – Eine Geige, ein Klavichord, eine Handorgel.
    Die Musik hat teilweise spanischen Charakter, aber auch russischen und vor allem religiösen.
    Eine aparte Mischung.
    Die Chöre sind die Hauptsache. Es ist ein Hoheslied auf die Liebe. Auch die Statisten sind Sänger.
    Ich kann nicht singen, sagte ich.
    Wenn es viele Stimmen sind, merkt man das nicht, und plötzlich kann man es doch.
    «Resanow oder Die Ewige Treue», sagte ich. – Das muß man sich im Munde zergehen lassen.
    Kein Hafen, den wir anliefen, wo Resanows erster Gang nicht ins Bordell geführt hätte. In Kopenhagen nahm er sogar seinen St.-Annen-Orden mit. Als er ihm abhanden kam, verlangte er von Krusenstern, er müsse das Haus bombardieren. Der Gesandte, der auf der Ratteninsel nie aus dem Schlafrock herauskam, war unpäßlich oder geil, wobei eins vom andern nicht zu unterscheiden war. Aber wie lange war ich selbst nicht aus dem Negligé herausgekommen?
    Es gibt ein Libretto, sagte sie. – Es wurde an alle Mitwirkenden verteilt. Wenn Sie dabei sind, bekommen Sie es auch. Es war doch einmal

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