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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Reformisten nichts mehr zu fürchten.
    Konstantin will nicht regieren.
    Das wollte Alexander auch nicht, sagte sie. – Und Sie sehen, was herausgekommen ist. Vielleicht interessiert Sie auch, daß er nicht nur als Theaterfreund hierherkommt, sondern als Verehrer Resanows. Er sucht eine Gelegenheit, ihn zu rehabilitieren.
    Nein, sagte ich.
    Ich hoffte, daß du das sagst, Ermolai, erwiderte sie. – Ich lasse dich jetzt allein.
    Nadeschda, flüsterte ich, Zar bleibt Zar – es ist hoffnungslos.
    Ja, sagte sie. – Golownins Flucht war hoffnungslos. Benjowski warnte die Japanesen vor Rußland – hoffnungslos.
Und wenn?
Man muß es tun. Und hat man es getan, ist
nichts mehr
hoffnungslos.
    Ich töte nicht, Nadeschda, sagte ich.
    Wozu glaubst du, daß du hier bist?
    Deinetwegen.
    Sie zog den Schleier vor das Gesicht und ging rasch hinaus. Das Messer blieb auf dem Tisch.
    8 Als Ermolai Löwenstern in dieser Nacht zu seinem Garten ging, erlebte er eine Überraschung. Das Geviert stand unter Wasser; im Gemäuer mußte eine Leitung geborsten sein. Der unregelmäßige Raum war unbetretbar geworden, die Trümmerlandschaft lag unsichtbar auf seinem Grund. Dafür spiegelte sich ein voller Mond auf seiner Oberfläche, mit zuckenden Rändern, als wäre der Himmelskörper lebendig, dabei zeigte die Luft keinerlei Bewegung, und am Himmel suchte man ihn umsonst; im kleinen Feld zwischen den Mauerzinnen stand nichts als helle Nacht. Man hätte ins Wasser hinausgehen müssen, um der Lichtquelle ins Auge zu blicken; aber da der Hof noch nie in der Sonne gelegen hatte, wie sollte jetzt zum ersten Mal der Mond hineinscheinen? Und war er nicht seinerseits ein Spiegel, ein milder nächtlicher Abglanz, den man erst sehen konnte, wenn die Sonne, das Muttergestirn, schon unter- oder noch nicht aufgegangen war?
    Aber auch im gespiegelten Spiegel, im Bild eines Bildes zeigten sich, vielleicht plastischer als in seinem scheinbaren Original, die Zeichen von Körperlichkeit: Furchen, Trübungen, Schattenzonen, welche die betrachtende Phantasie seit je zu einem Gesicht zusammengesetzt hat, oder zu einem ganzen Mann im Mond. Der ungeschliffene Spiegel war «inwendig voller Figur» – diese Wendung hatte Löwenstern bei Albrecht Dürer gelesen, und sie war auf die Schöpferkraft des Malers gemünzt, die sich aus allen Vorbildern der Natur wieder ganz eigene Bilder zu machen wußte. Löwensterns Gefühl hatte sich immer daran gestoßen, daß seine Sprache – anders als fast alle andern, die den Dingen überhaupt ein Geschlecht unterstellen – den Mond männlich, die Sonne weiblich behandelt. Nun zeigte ihm die Spiegelung im Wasser einen Körper eigenen Rechts, der durch leises Zittern nichts von seiner Festigkeit verlor; es machte ihn lebendig. Ja, der Mond schien in der kleinen Tiefe noch stärker, fast durchdringend zu scheinen als je in der Höhe, und sein Licht, geborgt oder nicht, war «inwendig voll Figur». Im Wasserreflex des Mondspiegels, der das verschwundene Sonnenlicht zur Erinnerung dämpfte, erschien die Figürlichkeit des kleinen Gestirns noch gesteigert und, durch Vereinzelungim Verlies, wie durch ein Brennglas, zur Herrlichkeit verstärkt.
    Löwensterns Hände hatten unwillkürlich eine Bewegung ausgeführt. Er wandte sich ihnen zu und betrachtete sie als etwas erstaunlich Fremdes. Sie hatten sich vor seinen Augen in gleiche Höhe erhoben und locker geöffnet, wandten einander, mit Abstand, die geneigten Handflächen zu. Und selbst bei diesem schwachen Licht konnte er
sehen
: auch die Leere, die sie vorwiesen, war von beweglichen Schatten gezeichnet, inwendig voll Figur wie der Mond. Sie trugen, mit Furchen und Schwielen, die Spuren seiner Arbeit, den gesammelten, dauerhaft gewordenen Abdruck aller Körper, die sie jemals berührt hatten.
    Nun begann er mit ihrer Stellung zu spielen. Seine Hände schaukelten leicht, wie die Arme einer Waage, und pendelten sich dann wieder auf gleicher Höhe ein. Und plötzlich sah er Hände eines Schöpfers am Werk. Sie griffen nicht zu, sie packten nichts an. Sie wogen nur, in kleinsten Bewegungen, ihre Leere gegeneinander ab, verrückten ihre Balance, um sie wiederzufinden. Aus der Differenz, die sie herstellten und zurücknahmen,
ergab
sich etwas, und dieses Etwas war nicht mehr nichts. Auch die kleinste Verschiebung der Gewichte hüben und drüben war ein Anfang von Figur; das Fast-Nichts von Unterschied vibrierte wie der Mondschein im Wasser. Hier begann etwas zu pulsieren und zu atmen, wurde

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