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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Schnallenschuhe; sie wirkten klein, aber auch sie saßen perfekt.
    Betrachten konnte ich mich nicht. Das Spiegelchen in der Badehalle, vor dem ich mir Bart und Haare schneide, zeigt keinen ganzen Mann.
    Gut sehen Sie aus, sagte es hinter mir; es war die schwarze Witwe. – Fehlt nur noch der Zylinder. Wie kommen Sie sich vor?
    Ein wenig fremd, sagte ich.
    Sie brauchen auch eine Maske, sagte Nadeschda, sie gehört zu Ihrer Rolle.
    Sie hielt eine gipsweiße Larve mit Augenlöchern in der Hand und stand jetzt so dicht vor mir, daß ich ihr Parfüm roch, als sie die Arme hob, Patschuli mit einem Stich Moschus, unterlegt vom Hauch einer Körperlichkeit, der mich schwindeln machte. Sie setzte mir die Maske auf und ließ sich beim Festbinden der Schnüre hinter meinem Kopf so viel Zeit, daß ich sie unwillkürlich um die Taille faßte. Sie entzog sich nicht, doch der Druck ihrer Hüften blieb neutral. Dann setzte sie mir den Zylinder auf und drückte ihn fest.
    In meiner Phantasie verlängerte er sich auf Turmhöhe; ich blickte durch fremde Augenlöcher in einen unbekannten Raum hinab. Ich war riesenhaft geworden und spürte doch Nadeschdas warmen Atem dicht an meinem Ohr, der sich zum Gewisper verstärkte.
    Hörst du mich? flüsterte sie.
    Ja, antwortete ich von weit weg.
    Morgen ist der Tag, hauchte sie. – Wir sind im Haus des Alkalden, mitten im Volk, und nach Conchitas Lied: «Auf ewig» und Reganows Antwort: «Jetzt oder nie» breche ich mit einem Schrei zusammen. Es gibt einen Auflauf, und du gelangst unbemerkt in seinen Rücken.
    Ihre Hände fingerten an meinen und drückten einen harten Gegenstand hinein.
    Dann tust du es, flüsterte sie. – Mit einem Stich.
    Ich schob die Maske aus dem Gesicht; der Zylinder fiel zu Boden.Das Messer in meiner Hand hatte einen Horngriff und saß in einer Lederscheide.
    Steck’s unter die Weste, sagte sie. – Sie hat eine Tasche dafür.
    Sie packte den Dolch mit meinen Händen zusammen und wollte sie an meine Brust führen, aber ich hatte den Griff losgelassen, so daß sie ihn allein festhalten mußte.
    Wen? fragte ich.
    Du wirst es wissen, sagte sie. – Es gibt nur den einen.
    Ich töte keinen Menschen, sagte ich.
    Hinter dem Witwenschleier konnte ich das starre Weiß ihrer Augen auf mich gerichtet sehen.
    Ich liebe Sie, sagte ich.
    Sie rührte sich nicht.
    Draußen hörte ich die Schauspieler durcheinanderreden, jemand klatschte wiederholt in die Hände; Kotzebue rief zur Ordnung, das Klavier spielte den Schlußchoral an.
    Nadeschda ging zu meinem Schreibtisch und setzte sich auf seinen Rand. Dann streifte sie den Schleier aus dem Gesicht und sagte, in die Chorprobe hinein, mit leiser Stimme: Ich habe Ihnen noch nicht berichtet, daß uns eine Überraschung erwartet. Seine Majestät der Zar hat sich angesagt, auf der Durchreise mit seinem Bruder Konstantin, dem Vizekönig von Polen. Warschau ist unruhig. Die Majestäten sind gestern auf dem Manteuffelschen Gut eingetroffen und wünschen, sich einen Eindruck von Kotzebues Stück zu verschaffen. Hören Sie mich, Ermolai?
    Ich schwieg.
    Sie sind sprachlos, fuhr sie fort. – Sie werden es noch mehr sein, wenn Sie erfahren, daß Golownin, sobald er in Petropawlowsk eintrifft, verhaftet wird.
    Warum? fragte ich.
    Der Zar ist davon überzeugt worden, daß auf der
Kamtschatka
eine Verschwörung im Gange sei. In Golownins engster Umgebung sollen sich Mitglieder einer Geheimgesellschaft befinden, welche die Abschaffung der Leibeigenschaft und der Zensur verlangt.
    Das hat der Zar bei der Thronbesteigung selbst versprochen.
    Heute steht der Tod darauf. Zu den Verschworenen gehören auch Fjodor Litke und Feopempt Lutkowski, der künftige Schwager Golownins. Sie verlangen die Abdankung des Zaren.
    Golownin ist nicht der Typ des Verschwörers, sagte ich.
    Salvieren kann er sich nur, wenn er das Kommando einer kriegerischen Expedition übernimmt – gegen die Japanesen. Es heißt, er kenne ihre Mentalität. Und der Zar zählt darauf, daß er Gründe hat, ihnen die Gefangenschaft heimzuzahlen. Es wäre auch der untrüglichste Beweis seiner Loyalität.
    Das tut er nicht, sagte ich.
    In Kronstadt, fuhr sie fort, wird eine Flotte gerüstet, die im japanesischen Krieg zum Einsatz kommen soll. Sie wäre schon ausgelaufen, wenn Großfürst Konstantin kein Veto eingelegt hätte. Er möchte die Kriegsmacht Rußlands nicht verzetteln, solange Polen nicht befriedet ist. Auch hat er eine günstige Meinung von Golownin. Wäre Konstantin Zar, hätten die

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