Loewenstern
die Schulter, dann drehte sie sich ihm zu und forderte ihn mit einer herrischen Geste zum Weiterreden auf, umsonst.Da ging sie, den Mantel flüchtig um den Leib gewunden, mit drohenden Schritten auf ihn zu.
Besteig sie doch, du Arsch, statt dir nur in die Hose zu machen!
Er glaubte es nicht, aber es war erst der Anfang. Sie riß ihm den Mantel von den Schultern und brach, indem sie das Tuch mit Füßen trat, in einen Strom ordinärer Verwünschungen aus, dergleichen er seit seinen Seemannsjahren nicht mehr gehört hatte. Ihr Gesicht dicht an seinem, spie sie das Letzte hinein, was man zu einem Menschen sagen sollte und darf. Er hörte das Zetern der Hure, die sich, um ihren Lohn geprellt, mit Lästern schadlos hält: so ist es, das Männerpack, präpotent und impotent, Betrüger und Waschlappen, Angeber und Scheißkerle. Aber nun erst dieser da: – ist das überhaupt ein Mann? Ein Schönschwätzer ist er, ein geblähtes Nichts, gar nicht der Rede wert – und nun konnte die Rede erst richtig beginnen. Sie ging zur Sache und wurde bemerkenswert akkurat. Jeder Satz, in Gift und Galle getaucht, ein Pfeil, der eine empfindliche Stelle traf, und keiner, der nicht nach der Mannesehre zielte und nach der Menschenwürde.
Was tun? Schlagen durfte er die Frau nicht, fliehen konnte er nicht, aber schweigen noch weniger. Er suchte Widerworte, fiel zu seiner Beschämung selbst in den Ton der Frau, als er sie anherrschte: es reicht! Er warnte sie nachdrücklich, steigerte die Drohung zum Ultimatum, verlängerte es zum zweiten, zum dritten Mal, während sie, die Hände auf die Knie gestützt, feixend auf und ab wippte.
Gambare, gambare, Löwensterchen, nur zu, kleiner Freund! Weine nicht mehr, bleiche Dudu, sei ein Mann!
Als er verstummt war, ließ sie ihm die Wahl, ein
Waschweib
zu sein oder ein
Marktweib
– und er hörte genau, daß es der
weibliche
Anteil des Schimpfworts war, der ihren Hohn schärfte. Sie bleckte die Zähne, die unter straffer Oberlippe entblößt blieben wie die einer Raubkatze, als sie anfing, ihn zu reißen, Stück für Stück. Sie zerrte ihm die Larve der
Exzellenz
herunter, nur aufgesetzt, um zu verbergen, daß er gar kein Gesicht habe. Sie schlug ihm die Briefe um die Ohren, die sie natürlich nicht nur gelesen, sondern
gefressen
habe und danach aus dem Kotzen gar nicht mehr herausgekommen sei: ob er sich je gefragt habe,wovon sie eigentlich
lebe
? Und wie sie mit dem Nichts, das er sei, auskommen könne? Er habe sich immer nur mit
Ausreden
beschäftigt – denn das und nichts anderes sei seine Schreiberei: Ausrede für ungelebtes Leben, Schaufenstergebäck aus buntem Gips.
Der Mann, der in seinem Garten eben noch das Universum ausbalanciert hatte, begann zu verstehen: Sein oder Nichtsein – das war erst das kleine Einmaleins. Aber moralisches Nichtsein bei lebendigem Leib: darauf war er nicht gekommen, und jetzt tat die Frau den Teufel, es ihm einzutränken.
Nachdem seine Ultimaten unbeachtet verstrichen waren, hatte sich der Mann mit Seelenkunde geholfen. Eine Frau, die ihn mit dem Niedrigsten zudeckte, was ihr zur Hand war, brauchte er nicht wörtlich zu nehmen. Sie zeigte damit nur die Tiefe ihrer Erniedrigung an, und wer es darin nicht aushält, wird niederträchtig, muß niedermachen – den ersten Besten. Aber daß sie es
ihm
antat, bewies ja mehr als ausreichend, daß er immer noch der beste Erste war. Auch wenn sie ihn jeder Würde entkleidete – noch immer würdigte sie ihn wie keinen andern ihres Vertrauens. Mit jedem Fluch, den sie gegen ihn schleuderte, widersprach sie gewissermaßen sich selbst. Der Mann kann nicht töten, darum soll er nicht leben. Mag die Frau weiterlästern:
Wenn du ein Dichter bist, bin ich eine Japanesin!
Es ekelt sie, ihn zu berühren – doch von ihm lassen kann sie nicht.
Muß er das Spiel mitmachen? Er kann ja lesen. Er war immer ein Leser. Aus dieser Quelle flossen ihm unfehlbar gute Gründe zu. Die Frau nennt sie «Ausreden». Kann es sein, daß er ihrer plötzlich müde geworden ist –
sterbensmüde
?
Er sieht dieses Gesicht vor sich, das nicht aufhören kann, ihn zu beleidigen. Was die Frau sagt, trifft ihn ja gar nicht, das ist dummes Zeug. Was ihn wirklich beleidigt, ist ihre Häßlichkeit, die Penetranz ihres Anspruchs, das Schamlose ihrer Geschichten. Was ihn rasend macht, ist
sie,
sie selbst. Jetzt drückt sie auch noch die Augen zu. Und ihr Mundwinkel –
Für diesen Mundwinkel
allein
könnte er sie erwürgen. Und als sich seine Hände ballen,
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