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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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ganze Last auf zwei Händen in der Schwebe ruhte, mit solcher Leichtigkeit, daß man sie festhalten mußte, damit sie einem nicht entflog?
    Wie mühelos er aufstehen konnte – als wäre er ein Japanese, der langes Sitzen gewohnt ist. Nein, er war nur Hermann Ludwig Löwenstern und hatte noch etwas vor. Und wie ein Junge warf er den Stein ins Wasser hinaus – mit links, aber zielsicher nach dem Mondschein, den er fast in die Mitte traf. Er sprühte in Funken auseinander, die aufgeregten Wellenkreise trugen ihm das zersplitterte Licht zu, heftig zuerst, dann immer gemächlicher, bis sich auch der verwirrte Lichtkörper wieder gesammelt hatte und auf sein altes Rund zurückgekommen war, auch wenn es noch eine kleine Weile nachbebte.
    Löwenstern hatte jeder Bewegung zugesehen und verweilte noch weiter, als die größtmögliche Ruhe eingekehrt war. Dieser Wurf war ebendas, was seinem Garten noch gefehlt hatte. Wenn das Wasser abgezogen war, würde der Stein wieder auftauchen, denn tiefer konnte er nicht fallen als bis auf den Grund.
    Und wenn er nie mehr zum Vorschein kam?
    Dann war es auch gut.
    9 Als er in die Klause zurückkehrte, sah er, im Schein des Wachslichts auf dem Tisch, die Frau im Halbdunkel vor der Blumenschale kauern, im stahlblauen
Yukata
wie am ersten Tag. Im Widerschein der weißen Holunderblüten, die sie steckte, schimmerte ihre Stirn, und die losen Haarsträhnen darauf rührten sich bei jeder Bewegung. Als sie redete, sah sie ihn nicht an.
    Ich habe dir etwas noch nicht gesagt. Ich habe dir noch nichts gesagt. Ich habe dir noch nie etwas gesagt.
    Er ließ sich auf das Bärenfell nieder, das eine oder das andere.
    Ich höre dich, sagte er kniend.
    Ich will nicht, daß du mich hörst.
    Wie sollen wir das denn machen?
    Du mußt gleichzeitig reden und darfst nicht aufhören, keine Sekunde.
    Was soll ich denn sagen?
    Sag Wacholder.
    Holunder geht auch?
    Was du willst, aber immerfort. Im-mer-fort!
    Er begann
Wacholder Wacholder
zu murmeln, und sie sprach ebenso leise, aber bei ihr waren es ganze Sätze in einer fremden, doch, wie er meinte, nicht
ganz
unbekannten Sprache. Er spitzte die Ohren, aber sein eigener Singsang war dem Verständnis im Wege, und sobald er nur noch den Mund bewegte, um die Frau zu überlisten, tat sie es ihm gleich. Als er des Holunders müde wurde, machte er
Pollunder
daraus, dann
Pullover Pullunder Palaver HolländerHallodri
, und je mehr er die Wörter ihrem Hang zu Eigensinn und Nonsense überließ, desto besser glaubte er der Frau folgen zu können, auch wenn er sie immer weniger verstand. Sie schien von Tieren zu reden, Menschen, die Tiere gewesen oder wieder geworden waren, dabei ging ihr Atem kürzer, und ihre Erregung begann sich dem Mann mitzuteilen. Auch er bildete nun Sätze ohne Sinn, bramarbasierte nach Herzenslust, und je weniger er nach der Quelle des Unsinns fragte, desto bereitwilliger schien sie zu fließen.
    Die Frau hatte sich erhoben, ihr Gesicht war gerötet, auch ihr Gerede lebhaft und dringend, er sah das Zucken ihrer Lippen, die rasch wechselnde Grimasse von Abscheu und Hingerissenheit. Auch ihn hielt es nicht mehr auf den Knien, und ohne seinen Standort zu verlassen, begann er die Bewegungen der Frau andeutungsweise nachzuahmen; denn es waren Tanzschritte daraus geworden, und sie führten sie auf Umwegen, mit Drehungen und Pirouetten in die Richtung des Mannes. Dabei war sie aus ihrer Hülle geschlüpft, raffte das dünne Tuch vor den Brüsten und ließ es vor ihrer Blöße schaukeln, im Takt ihrer Geschichte, die sie sogleich unterbrach, wenn Löwenstern verstummte, und sei es nur, um Atem zu holen.
    Anfangs hatte das Unisono etwas Belustigendes, aber dann wurde der Eindruck, keiner wolle den andern ausreden lassen, zur Störung; der Mann hatte unwillkürlich die Stimme erhoben, die Frau erhitzte sich ihrerseits, ihre Schultern zuckten, ihre Füße fielen aus dem Tritt. Einmal hatte der Mann schon die Arme geöffnet, um sie aufzufangen, doch sie redete sich mit einer brüsken Geste wie angewidert von ihm weg, schüttelte sich sogar und blieb abgewandt stehen, um laut in die Ecke zu schimpfen. Dann beugte sie sich, ohne ihren Redestrom zu unterbrechen, und präsentierte den Hintern. Das Bild seiner entblößten Mutter schoß dem Mann durch den Sinn, das er als Kind erhascht und widerwillig bewahrt hatte, zugleich war die hagere Person, die mit gespreizten Beinen zu wippen begann, der schiere Hohn und verschlug ihm die Sprache. Sie blickte unwirsch über

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