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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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stöhnt er laut auf, hört sich schluchzen und versteht gar nichts mehr. Er hat zu lallen begonnen, als wäre ervom Schlag getroffen; da hört er die andere Stimme. Die Frau lallt mit ihm. Zugleich läuten die Ohren; die Lade der ungenannten Dinge kippt und leert sich aus, mit Rasseln und Prasseln; liefe dazu noch ein Mundwerk, es könnte sein eigenes Wort nicht hören. Aber jetzt hat das Paar laut zu heulen begonnen – wer hat diesen wölfischen Ton angestimmt? Genug, er lag in der Luft – fast schon einstimmig ausgestoßen aus gestrecktem Hals, endlos gedehnt, über alle Wände der Gryllenburg hinaus, bis an die Grenze des Atems.
    Als sie erreicht war, verstummten sie, beide zugleich. Sie öffneten die Augen und sahen einander zum ersten Mal. Die Frau lächelte schwach, aber mit ganzem Mund. Die Lippe war frei. Sie ließ ihre Stirn gegen die Stirn des Mannes sinken. Auch im Gehör war Schweigen. Erst standen sie nur. Dann legten sie die Arme umeinander.
    Sie zog ihn auf das Bärenfell nieder, das eine oder das andere, und wenn es das andere war, zog sie jetzt das eine über beide; unter ihm zog sie es über seine Schultern, oder auf ihm über die ihren. Jetzt waren sie ganz und gar im Versteck, und es bewegte sich nicht mehr, aber es war inwendig voll Figur und unaufhörlichem Raunen. Rede, Ermolai, nicht aufhören, keinen Augenblick. Ich weiß noch viel mehr. Er hörte etwas wie
mein Sabbath, mein Goldkelch, mein Schwert und mein Helm
, und sprach
Kataster
hinein,
Katheder, Katheter, Piaster, Pilaster, ich könnte dich umbringen, mein Herzensnarrchen, meine Einsamkeit, mein Schiff, mein schönes Tal, meine Belohnung.
Rede, du darfst mich nicht hören.
Meine Wiege, meine Stimme, mein Richter, mein Schoßkind, wieder einen Finger schlägst du mir ein. Mein Süßtönender, mein teurer Sünder, mein Goldkelch, mein Eingeweide, meine Hochzeit, die Taufe meiner Kinder, mein Trauerspiel, mein Nachruhm. Wieder einen Nagel schlägst du mir ein.
Im Kokon rappelt es, während sie draußen klöppeln wie nicht gescheit, acht Bärentatzen auf dem Steinboden mit Bärenkrallen wie Totenbeinchen, wie Stiefelabsätze auf Katharinas Marmorparkett. Wir bleiben drinnen, lassen keinen herein, da kann es hämmern, wie es will.
Mein Goldkind, meine Perle, mein Johannes, mein Cherubin und Seraph, o Himmelstöchterchen, du Gottesmann.
Wer hilft uns aus der Puppe, Nadja? Niemand ist da, keine Menschenseele.Jetzt hast du mich gehört,
mein Alles und Jedes, meine Vergangenheit und Zukunft, du Vergebung meiner Sünden, mein Herz meine Mördergrube.
Noch ein Nagel, und es ist vollbracht. Wir sind nur noch einen Streich vom Leben entfernt, Ermolai, einen kleinen Todesstreich.
    Wo bist du, Kind Gottes?
    Ich denke an Green, sagte der Mann.
    Wenn er gelebt hätte, sagte die Frau, wäre er tot. Er stirbt nicht, weil er nur ein Schatten ist, unser Schatten. Wir können ihn groß und klein machen wie Gulliver.
    Den hast du mir ausgetrieben, sagte der Mann.
    Du mußtest auf die Welt kommen, sagte die Frau, dafür gab ich meinen Leib, denn du wußtest gar nicht, daß du einen hattest. Dafür nahm ich deine Seele, denn ich hatte meine verloren.
    Jetzt sind wir groß und klein, sagte der Mann, aber
eins
werden wir nicht.
    Das wäre noch schöner, flüsterte sie, doch wir sind zusammen gefallen, und tiefer sinken können wir nicht. Wir sind wieder im Ei,
mein Küken,
und brauchen keinen Hammer, um die Schale zu öffnen. Du hast den Schnabel, ich habe den Zahn,
mein süßes Leben, mein Mädchen, meine Braut

    Ja –
    PAN!
    Die Puppe sprang, das Netz um ihren Leib entfaltete sich und wurde durchsichtig, das verdoppelte Geschöpf hatte vier Flügel auszubreiten und begann sich im Licht zu wiegen, mühelos gepaart, leichter als der Wind. Über ihm, hochgetürmt, die Wolke der Gryllenburg mit verwehten Zinnen, fließenden Rändern, und in der Tiefe das Summen des ewigen Sommers. Hörst du es auch?
    Rhabarber, Rhabarber, Rhabarber.
    Ganz Ohr werden:
    HOSIANNA der Liebe.
    So anders. Das bist du.
    So und nicht anders.
    So

VII
Nachspiel
Palfer. Theater

    1 Alexander, Selbstherrscher aller Reußen, machte im Spätsommer 1820, zweiundvierzigjährig und fünf Jahre vor seinem Tod, unterwegs zum Fürstenkongreß von Troppau, Station in Palfer, dem Gut Otto von Kotzebues. Der Zar war in Reval unverhofft leidend geworden, am Kleinfinger der linken Hand, der sich über Nacht entzündet hatte und heftig pochte. Das Nagelbett war von Eiter umlaufen, den der erste

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