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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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der Last zu erlösen! Konstantin will meine Krone nicht – also wird sie am kleinen Nikolaus hängenbleiben, und seine Frau brennt ja auf den Thron; sie möchte das Land mit preußischem Charme besiegen, wie ihre selige Mutter Louise. Das war einmal eine Frau!
    Beim Nachtisch war von Staatsgeschäften nicht mehr die Rede; der Zar saß dem Hausherrn gegenüber, und zu seiner Rechten die Hausfrau, deren gesegneter Zustand unübersehbar war. Damit schien sie die Galanterie Alexanders nur zu beflügeln, der ohne weibliche Begleitung reiste. Die Gesellschaft bestand, außer den Ärzten, aus zwei Dutzend Herren und Damen, deren Namen im Baltikum guten Klang hatten. Im ersten Rang war Adam Krusenstern zu nennen, der Weltumsegler, seither Direktor der Marinekadetten in Petersburg, ein Vater des Vaterlandes, durch dessen bildende, immer korrekte Hand die ganze zur See bestimmte Jugend des Reiches ging, während die für Ämter auf festem Land vorgemerkte das Lyzeum in Zarskoje Selo absolvierte. Krusenstern, mit den Kotzebues vielfach versippt, war auch der seemännische Ziehvater Ottos gewesen, und an jedem andern Tag hätte ihm und seiner Gattin Juliane der Ehrenplatz an der Tafel gebührt.
    Sie waren in bestem, das heißt: estländisch diskretem Staat vorgefahren, die von Knorrings, von Dethloffs, von Brevers und von Keyserlings, und hatten dem hohen Leidenden Reverenz erwiesen. Der baltendeutsche Adel, der sich die Abschaffung der Leibeigenschaft als erster hatte gefallen lassen, war immer russisch gesinntgewesen. Doch das gebotene Französisch kam nur dem Zaren selbst so zwanglos von den Lippen wie Chamisso, der allerdings kaum den Mund öffnete. Peter Graf von Manteuffel war entschuldigt, aber durch seine Tochter, die Hausherrin, gewissermaßen mehr als ausreichend vertreten. Die anmutige Amalie von Kotzebue war eine geborene Zweig, ein Phantasiename für die natürlichen Töchter, die ein Wiener Schäferkind dem baltischen Edelmann geboren hatte. Das Paar war sich auch ohne Trauschein treu geblieben, bis zum tief betrauerten Tode der Frau, und als Manteuffel abermals, diesmal standesgemäß, heiratete, versäumte er nicht, die außerehelichen Töchter den ehelichen gleichzustellen.
    Seit der Heirat Amalie Zweigs mit Otto von Kotzebue hatte sich die Familienrichtigkeit mit einem Titel erledigt, aber als Gegenstand des Feingefühls durfte sie durchaus berührt werden. Sie nahm den Zaren und seine Tischdame des längeren in Anspruch, und dabei lag seine bewegliche Hand nicht ganz selten auf der ihren. Nachdem er sich für die auf seine Gesundheit ausgebrachten Toasts bedankt hatte, wandte er sich fast ausschließlich der geborenen Zweig zu, die jedermann Kitty nannte. Ihre frische Art schien ihm wohlzutun.
    Der Zar war nicht mehr der gertenschlanke junge Gott, dem bei der Thronbesteigung vor zwei Jahrzehnten die Herzen Rußlands, die Hoffnungen Europas zugeflogen waren. Er wirkte gedunsen, seine legendären blauen Augen wässerten, und die Farbe seines zwischen vergoldeten Backenbärten schwer gewordenen Gesichts war nicht wohl gesund zu nennen. Aber mit Kitty schien er seine Molesten zu vergessen und schloß am nächsten Tag auch eine kleine Jagd nicht mehr aus – zur Bestürzung des Hausherrn, die sich erst nach dem Einspruch der Ärzte wieder legte: es waren wohl Pfleger, doch keine Jäger nach Palfer bestellt worden. Was wären wir ohne Mütter! beliebte der Zar gegen Kitty zu scherzen, die er bald bei diesem Namen nannte, worauf sie zuverlässig errötete –, was zählen daneben wir Männer! Die Natur selbst hat dafür gesorgt, daß es auf uns gar nicht sonderlich ankommt; und was isteine Frau, wenn nicht schöne Natur im Schleier der Sitte! Auch ich, Kitty, bin nicht von Vätern gezeugt, aber von Müttern geboren – das ist meine wahre Legitimation!
    Das Sujet entbehrte, angesichts des Endes von Alexanders Vater, des unseligen Paul, nicht der Empfindlichkeit. Um so delikater verlangte behandelt zu werden, was Kitty «das weite Herz» der großen Katharina nannte. Sie sei ein Haus mit vielen Wohnungen gewesen, wie es der Allerhöchsten zieme. Schiferli, der, aus Bedächtigkeit, immer um ein Thema hinterherhinkte, war noch bei der Geschlechtsnatur des Menschen und fragte den Hausherrn, ob der Kabeljau, den man gerade genieße, mit seiner Milch zubereitet worden sei. Die Gegenfrage des immer stirnrunzelnden Krusenstern, seit wann Kabeljaus Säugetiere seien, bedachte er mit einer überlegenen Antwort.

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