Loewenstern
Leibarzt – der Zar war von drei deutschen Ärzten begleitet – durch einen Schnitt abgeführt hatte. Danach war die ganze Hand geschwollen, das Gelenk, ja der Unterarm begannen, sich schmerzhaft zu versteifen, und die Ärzte waren sich einig, daß die Infektion ernst zu nehmen sei. In der Entourage des Kaisers befand sich auch Doktor Abraham Schiferli, Stadtchirurg von Bern, der in allerhöchster Familiensache nach Petersburg gereist und vom Zaren noch in einer andern, gleichfalls diskreten empfangen worden war. Jetzt riet er zu einer konservativen Behandlung des Fingers mit Kamillenbädern, hielt aber doch zwei, drei Ruhetage für indiziert. Die Gesellschaft sagte sich kurz entschlossen bei Otto von Kotzebue an.
Palfer gehörte seinem Schwiegervater, dem Grafen von Manteuffel, der ein Querkopf und wie häufig, so auch diesmal auf Reisen war, aber so begütert, daß der Aufenthalt in Palfer die nötige Bequemlichkeit versprach; die Gegend war auch für ihr gutes Wasser bekannt. Außerdem glaubte der Zar, Kotzebue eine Aufmerksamkeit schuldig zu sein. Seine Weltumsegelung war vom Außenminister, Graf Rumjanzew, aus dessen Privatschatulle bestritten worden und hinterher ins Gerede gekommen, da Kotzebue in der Beringsee die Suche nach der Nordwestpassage aufgegeben hatte, aus Gesundheitsgründen. Die Kritiker urteilten, ein Kapitän der kaiserlichen Marine habe, wenn sein Herz versage, das Kommando einem Stellvertreter abzutreten und müsse auf seiner «Rurik» genauso als erster zu sterben bereit sein, wie er sie als letzter verlassen dürfe. Später hatte sich Kotzebue auch noch in einem Sturm vorKamtschatka verletzt. Offiziell hatte man die Umkehr auf den schlechten Zustand der Brigg geschoben, die in Manila vollständig überholt werden mußte.
Der Zar war zur Nachsicht gestimmt. Wenn Kotzebue den verkürzten Handelsweg nicht gefunden hatte: immerhin hatte er eine Strömung registriert, die für ihre Möglichkeit sprach, und bei der Erforschung der Südsee Bahnbrechendes geleistet, wofür auch dem mitreisenden Naturforscher Adelbert von Chamisso zu danken war, bekannter als Dichter des «Peter Schlemihl». Kotzebue hatte sich überdies als Diplomat verdient gemacht und, Verwicklungen mit der spanischen Krone in Neukalifornien abzuwenden, solche mit dem König von Hawaii beizulegen gewußt. Für seine Verdienste hatte ihn der Zar bereits zum Kapitänleutnant befördert und mit dem Orden des Heiligen Wladimir vierter Klasse ausgezeichnet. Außerdem war der Zweiunddreißigjährige frisch verheiratet und wirkte zwar etwas schroff und manchmal cholerisch, aber nüchtern und berechenbar, im Unterschied zu seinem Vater, dem russischen Staatsrat und großen Dichter, der kürzlich in Mannheim von einem deutschen Patrioten erstochen worden war.
Als der Zar mit Gefolge auf Palfer eintraf, wurde er eher herzhaft als untertänig empfangen und im Südflügel des Herrenhauses einquartiert. Nachdem er sich erfrischt hatte, ließ er sich in Kotzebues Studierzimmer eine Reihe exotischer Pflanzen und Objekte vorführen, die Chamisso gesammelt hatte. Auch wenn Kotzebue unterwegs mit dem französischen Ausgewanderten nicht warm geworden war, fand er ihn unentbehrlich für die Abfassung des wissenschaftlichen Reiseberichts und hatte ihn dafür nach Palfer geladen. Der hagere Chamisso, dessen Deutsch mit einem Akzent gestraft blieb, verband das Air des Edelmanns mit der Delikatesse des gebildeten Bürgers und trug eine langsträhnige Löwenmähne, die ihn zugleich als Außenseiter auswies. In seinem Berlin war er ein Bruder literarischer Bünde, in denen die Kapriolen der Romantik mit der Neugier des höchsten preußischen Adels und dem aufgeklärten Witz des jüdischen Salons zusammentrafen, der freilich ein ganz bürgerliches Gesicht hatte und oft nicht ansehnlicher war als eine Dachstube.
Der Zar zeigte sich an naturkundlichen Erläuterungen nur mäßig interessiert, wünschte aber ein Mehreres über die staatlichen Einrichtungen Polynesiens zu vernehmen, soweit man von solchen reden durfte. Dann verlangte er über die Religion der Insulaner Bescheid und schließlich über ihre Sittlichkeit, die verheerend sein müsse. Kotzebue stimmte bei, unterschlug aber den Anteil nicht, den europäische Seefahrer an dieser Verderbnis hatten. Da fragte der Zar nicht weiter und beschränkte sich auf die Anmerkung, Freiheit sei zu kostbar, als daß man sie sogenannten Freigeistern überlassen dürfe, und sprach mit Wärme von der Heiligen
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