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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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von Eisenschienen oder von mit Eisen beschlagenem Holz und Steinen, auf denen die Räder der Wagenlaufen, wodurch der Widerstand, welchen sie auf gewöhnlichen Wegen am Umfange erleiden, so weit aufgehoben wird, daß beinahe nur die Reibung an der Achse noch zu überwinden bleibt und ihre Fortbewegung durchschnittlich wenigstens zehnfach erleichtert ist.
    Der Zar lachte. – So etwas mag für eine Kohlengrube nützlich sein, aber durch Sibirien? Über zehntausend Werst? Ein langer Verdauungsweg, Kotzebue, da sind Rentiere noch schneller. Wir bleiben zur Seefahrt verdammt. – Doch jetzt lösen Sie mir ein ganz anderes Rätsel. Im Wald dort drüben bin ich auf ein weitläufiges Gemäuer gestoßen – die Zugänge sind versperrt, da bin ich auf einen Baum geklettert, und durch ein Loch glaubte ich, ein ganzes Stadtbild zu erkennen, mit gemalten Wänden, die meisten zerfallen, und wenn sie noch standen, war nichts dahinter. Was ist das für ein Potemkinsches Dorf?
    Ach Gott, Majestät, das war die Probierstadt meines Vaters, sagte Kotzebue. – Ich kam noch nicht dazu, sie abzutakeln.
    Probierstadt? fragte der Zar.
    Er pflegte, die Truppe, mit der er im Deutschen Theater auftrat – in Reval, auch mal in Petersburg –, zuvor in Manteuffels Gut zusammenzuziehen. Seine erste Frau, Kittys Mutter, hatte Geschmack daran; sie war ja selbst ein Kind des Volkes. Die alte Festung, die Sie gesehen haben, ist eine Bischofsburg aus katholischer Zeit. Ihr Beinkleid, Majestät – Sie haben sich doch nicht weh getan?
    Im Gegenteil. Ich habe mich vergnügt. Aber Klettern hat seinen Preis, wenn man kein Affe mehr ist. Eine Bischofsburg, sagten Sie?
    Als sie aufgelassen wurde, verfiel sie, bis Manteuffel ein Irrenhaus daraus machte. Als Menschenfreund scheute er keine Kosten. Die Patienten sollten sich wie zu Hause fühlen. Manchmal zog mein Vater sie als Statisten heran. Farbige Charaktere. Sie dienten ihm wohl zur Inspiration. Lockere Sitten. Er nannte den Ort auch «Wallensteins Lager» und spielte den Generalissimus.
    Sie sprechen mit wenig Pietät von Ihrem Vater.
    Wo soll sie herkommen? Nach dem frühen Tod meiner Mutter hielt uns wenig zusammen.
    Sie war eine herrliche Frau, sagte der Zar, eine von Essen, nicht wahr?
    August hat sich getröstet und munter fortgezeugt, sagte Kotzebue. – Ich habe zehn bekannte Geschwister – es dürften noch einige mehr sein. Seine Truppe hat ihn nicht umsonst Vater genannt.
    Sie sind mutterlos aufgewachsen, Otto, bemerkte der Zar sichtlich bewegt.
    Ich hatte zwei Mütter, die See und die Wissenschaft, sagte Kotzebue. – Auch an einem Vater hat es uns nicht gefehlt, meinem Bruder Moritz und mir. Krusenstern! Er nahm uns auf Weltreise mit, dabei war uns noch kaum ein Bart gewachsen.
    August von Kotzebue bleibt ein Genie, sagte der Zar, und die Quellen, aus denen es schöpft, darf man nicht zu eng betrachten.
    Er hatte jedenfalls das Talent zu verbergen, wenn er auf einem wahren Genie schmarotzte. Sogar seine Theatergemeinde hat er nach «Wilhelm Meister» gemodelt. Es war die Pflanzstätte für seine Philinen.
    Aber er war doch selbst Weimaraner und mit Goethe gut Freund. Ihre schöne Kitty erzählte, er habe gar mit ihm auf der Bühne gestanden.
    Als Briefträger in den «Geschwistern», sagte Otto von Kotzebue, und hat nur
einen
Satz gehabt.
Ein beschwerter Brief, zwanzig Dukaten, franko halb.
Aber das paßte. Als Ökonom verstand er sein Geschäft. Er konnte Goethe nie das Wasser reichen, aber er verkaufte sich besser, das war sein ganzer Stolz.
    Mir scheint, Sie haben mit ihm wenigstens ein
Vater
problem gemeinsam, bemerkte der Zar. – Aber wo keine Liebe ist, darf man auch keine Gerechtigkeit erwarten. «Benjowski oder die Verschwörung von Kamtschatka» – wir haben das Stück in Petersburg gesehen, es hat uns zu Tränen gerührt. Benjowski, was für ein Charakter! Zu denken, daß Rußland nichts Besseres zu tun wußte, als ihn ans Ende der Welt zu verschicken!
    Er war ein notorischer Hochstapler, sagte Otto von Kotzebue, und log wie gedruckt. Mein Vater auch. Sie paßten zusammen.
    Väter sind ein Kreuz, Otto, sagte der Zar. – Ja, davon können wirein Lied singen. Der meine hat den Ihren auch verbannt – und dann ebenso willkürlich begnadigt. Als die Last des Amtes auf mich kam, wissen Sie, was ich geschworen habe?
Nicht wie mein Vater
. Wie mein Vater –
niemals!
    Ihr Herr Vater muß etwas ganz Ähnliches geschworen haben, als er Zar wurde, bemerkte Kotzebue trocken. –
Nie wie

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