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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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meine Mutter
. Jawohl, das «Kamtschatka»-Stück ist in den Kulissen geprobt worden, die Sie gesehen haben. Gewohnt haben die Schauspieler im Irrenhaus, herrschaftlich nur der kluge August. Er hatte seine Absteige im Stift und konnte die Damen und Herren – lieber die Damen – zur Vertiefung ihrer Rolle aus dem Schlafsaal geradewegs in die Schreibstube zitieren.
    Sie verwirren mich, Kotzebue, sagte der Zar. – Irrenhaus, Stift, Schreibstube – was denn nun?
    Um Vergebung, Majestät, die Geschichte des Gemäuers ist verschachtelt. Jedenfalls nützte es mein Vater dazu, Schauspieler mit Irren zusammenzuspannen. Er fand, sie könnten für die Wahrheit ihrer Darstellung nur gewinnen. Er hatte nämlich die Theorie, daß Schauspieler Irre werden müßten, um gut zu spielen, und daß die Irren eigentlich Schauspieler seien, die sich in ihrer Rolle gefangen hätten.
    Er hat die Bedauernswerten als Vorbilder der Kunst mißbraucht? fragte der Zar.
    Mit Ihrem allerhöchsten Einverständnis, wie er behauptete, sagte Kotzebue. – Majestät waren damals selbst an der sogenannten Nachtseite der Natur interessiert. Nach dem Wiener Kongreß will er Ihnen seinen schwersten Fall persönlich vorgetragen haben.
    Worum handelte es sich noch?
    Um eine Person, die in der «Verschwörung von Kamtschatka» für eine Nebenrolle vorgesehen war und sich in eine Hauptrolle hineinphantasierte. Sie wollte eine leibhafte Enkelin Benjowskis sein. Und mit dieser Vollmacht begann sie, August ins Handwerk zu pfuschen, und hätte es ihm gerne ganz gelegt. Als er sich nicht mehr zu helfen wußte, sollen Sie ihm den Rat gegeben haben, dieFrau probeweise zu legitimieren. Die Folgen waren furchtbar. Sie hätten ihn fast das Leben gekostet.
    Erzählen Sie, sagte der Zar angeregt, die Sache ist mir wahrhaftig entfallen.
    Er setzte die Person auf einen Menschen an, der als unheilbar galt, sagte Kotzebue. – Einen ausgemusterten Seeoffizier, der Krusenstern nach Japan begleitet hatte. Ich erinnere mich sehr gut an ihn – damals schien er ein braver Kerl, immer ein wenig spöttisch, aber auch skrupulös und im Grunde zuverlässig –, er konnte keiner Seele ein Haar krümmen und kein Wässerchen trüben. Danach verlor ich ihn aus den Augen. Er soll erst in Archangel gedient haben, dann gegen die Türken, in der Krim und an der Donau – da muß er dann ganz und gar übergeschnappt sein. Er bildete sich ein, er sei ein verirrter Japanese oder ein großer Dichter – das konnte er nicht mehr auseinanderhalten. Er war für keinen Dienst mehr zu gebrauchen und wurde auch noch krank – etwas wie Aussatz, den er sich in den Sümpfen Neurußlands aufgelesen hatte. Kurzum, man mußte ihn isolieren, und er kam auf die Gryllenburg. Soll Protektion gehabt haben – Manteuffel vermutete sogar: die Ihrige persönlich, Majestät.
    Das würde mich wundern, sagte Alexander. – Aber ein Zar weiß nicht alles. Und was wurde aus der Schauspielerin?
    Man tat sie mit Löwenstern zusammen, sagte Kotzebue.
    Wer ist Löwenstern?
    Pardon – so heißt der besagte Seeoffizier. Mit ihm sollte sie die Rolle der Prinzessin lebenslänglich probieren – und er bei ihr die Rolle des Japanesen und Dichters.
    Gleiches mit Gleichem kurieren, sagte der Zar. – Störung mit Störung. Das Prinzip der Homöopathie. Ja, ich erinnere mich, einmal selbst dergleichen geglaubt zu haben. – Ich war dem Teufel näher, als ich ahnte, Kotzebue. – Was wäre geworden, wenn mich Gott nicht rechtzeitig gefunden hätte!
    Die gesunde Röte der Morgenwanderung, der bübischen Kletterpartie war dem Zaren aus dem Gesicht gewichen; er hatte Kotzebue unwillkürlich beim Arm gefaßt.
    Der Teufel, das ginge ja noch, sagte dieser, aber Sie hätten auch zu Tode kommen können, wäre es mit rechten Dingen zugegangen.
    Wieso? fragte der Zar mühsam beherrscht und zog seine Hand zurück.
    Sie erinnern sich nicht? fragte Kotzebue. – Der Fall gab zu reden. Mein Vater probierte damals ein neues Stück – «Resanow», es sollte im Kušelev-Theater aufgeführt werden. August war bester Dinge, er hatte sein Rührstück als Oper eingerichtet und rechnete mit einem starken Erfolg. In seinem Mutwillen ließ er sich etwas Besonderes einfallen: er stellte seiner Truppe vor, der Zar komme nach Palfer, weil er der Probe persönlich beizuwohnen wünsche –
    Wann soll das denn gewesen sein? fragte Alexander.
    Ich war jedenfalls schon auf der
Rurik
unterwegs, sagte Kotzebue. – Natürlich war der Zarenbesuch eine

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