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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Kitty.
    «Menschenhaß und Reue», welche Tiefe des Gefühls! «Das merkwürdigste Jahr meines Lebens» – was für ein Buch, und was für ein Spiegel unserer Selbstherrschaft – unserer Selbstherrlichkeit! Haben Sie das Buch gelesen, Chamisso?
    Nein, Majestät, sagte der Angesprochene, der ganz unten am Tisch saß.
    Er liest meinen Vater nicht, sagte Otto von Kotzebue.
    Wie unrecht Sie haben, Monsieur! sagte der Zar und hatte wieder in tadelloses Französisch gewechselt. – Und was ärger ist: Sie
tun
unrecht! Kotzebue
Père
war ein geistvoller Kopf – und ein unabhängiger. Den Majestäten ein Volksmann, dem Pöbel ein Legitimist. Gegen Franzosen ein Deutscher mit Herz und Gemüt, gegen Kleinbürger ein Kosmopolit. Unverbrüchlich nur wider den Einen: Napoleon, den Antichrist, während ich selbst – ich gestehe es – mich von ihm habe blenden lassen. August Kotzebue war der Unbestechliche. Dafür ist er erstochen worden!
    Friede seiner Asche, aber er war ein Opportunist, sagte Otto von Kotzebue. Einen Augenblick herrschte Schweigen an der Tafel.
    Kitty, sagte der Zar, ich glaube, mit Ihrem Mann muß ich einmal unter vier Augen reden. Legen Sie ein gutes Wort für mich ein?
    Die Tafel raunte. Welch ein Souverän!
    Was könnten wir Ihnen verweigern, Majestät, sagte Kitty.
    Ach,
Majestät!
seufzte er
sotto voce.
– Ich bin nichts als ein einsamer Mensch und könnte mich in Sie verlieben. Und dafür würde Ihr Gatte mich fressen. Aber es ist zu spät. Alles kommt zu spät, Kitty, ich auch.
    Laut sagte er: Welch zauberhafter Abend, liebe Freunde! Ich habe ganz vergessen, daß ich im schönen Palfer nicht nur zum Spaß eingekehrt bin. Jetzt ruft die Kur unerbittlich. Lassen Sie sich nicht stören!
Doctores
, ich stehe zur Verfügung.
    Er stand auf und küßte Kitty die Hand; selbstverständlich war damit die Tafel aufgehoben. Aber der männliche Adel stand noch eine Weile im Rauchzimmer zusammen, während sich die Damen im Salon niederließen. Sie unterhielten sich über die Huld des Zaren, seinen Zartsinn, seine unauslöschliche Tragik.
    Noch unter der Tür hatte der Zar Otto von Kotzebue eine Hand auf die Schulter gelegt.
    Lieber, sagte er leise, ich denke, einen langen Schlaf zu tun. Zeitig erwecken will ich mich schon selbst, ich werde alt. Und eine
promenade solitaire
vor dem Frühstück ist dann ganz das Rechte. Nein, begleiten Sie mich nicht. Doch wie wäre es, wenn wir uns um acht Uhr in der Früh in Ihrer Rosenlaube träfen? Ganz am Ende, wo sie in den Park hinüberblickt? Da sind wir Männer unter uns. – Und dicht an Kotzebues Ohr fuhr er fort: Ihr Vater mag schrecklich gewesen sein, aber meiner war
abscheulich
. – Gute Nacht, Herr von Kotzebue.
    2 An diesem Abend rief der Zar noch einmal nach Doktor Schiferli. Der Arzt erschien im frugalen Gastzimmer der Kotzebue, wo sich die Majestät, im Schlafrock am Tisch sitzend, bereits selbst des Verbands entledigt hatte. Die Entzündung hatte sich zurückgebildet. Doch Schiferli ließ sich nicht nehmen, den affizierten Arm bis zum Ellbogen abzutasten, Zoll für Zoll.
    Soviel zu meinem Umlauf, Schiferli, sagte Alexander. – Was ist jetzt mit dem Blasenstein? Ist er wirklich so groß wie ein Taubenei?
    Ich kann nicht in Ihre Blase hineinsehen, Majestät. – Hoffentlich ist er groß genug, dann geniert er Sie am wenigsten.
    Und was wäre Ihre Methode, ihn verschwinden zu lassen?
    Schiferli erklärte es zum dritten Mal. Vor allem ging es darum, dem Patienten den lebensbedrohlichen Blasenschnitt zu ersparen. Schiferli hatte ein Verfahren entwickelt, in die Harnröhre einen Bohrer einzuführen und damit das störende Objekt, nachdem er es durch den After manuell fixiert hatte, behutsam zu zermalmen. Die Prozedur war so lange zu wiederholen, bis die Trümmer für einen natürlichen Abgang verschwindend genug waren.
    Das heißt, wie oft? fragte der Zar.
    Schiferli rechnete mit zwanzig Sitzungen. Nach jeder war eine Pause von einigen Tagen einzuhalten, damit die Reizung der Blase abklingen konnte, auch ihre immer mögliche Blutung.
    Das sind Höllenschmerzen, Doktor Schiferli, sagte der Zar. – Die schiere Tortur.
    So würde es Schiferli nicht ausdrücken, aber zugeben, daß die Behandlung an die Fassungskraft des Patienten bestimmte Anforderungen stellte.
    Zwanzigmal gefoltert, sagte der Zar, und dazwischen jeweils drei Tage, an denen ich nicht brunzen kann!
    Der Ablauf funktioniert zumeist, sagte Doktor Schiferli.
    Das sind zwei Monate, die ich nach Bern kommen

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