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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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müßte, sagte der Zar schaudernd. – Und was wird aus den Staatsgeschäften?
    Ich käme auch nach Petersburg, sagte Schiferli.
    Und was würde Ihre Großfürstin dazu sagen? Von der Remuneration reden wir gar nicht, sagte der Zar, aber wie stellen Sie sich vor, daß ich in diesen zwei Monaten auf einem Thron sitzen soll? Der Selbstherrscher aller Reußen mit angebohrtem Unterleib? Doktor Eisenbart ist gnädig gegen Sie, Herr Doktor Schiferli!
    Dafür sind Sie den Stein los, sagte Schiferli.
    Viel lieber möchte ich sterben, sagte der Zar.
    Doktor Schiferli schwieg. Dann sagte er. – Solange der Stein groß genug ist –
    Er ist groß genug, Herr Doktor. Ich wünsche, wohl zu ruhen.
    Der Zar lehnte sich zurück. Die Gutenachtgeschichte des Chirurgen hatte ihn erst maßlos geängstigt, dann fast ebenso tief beruhigt. Er war, im Abgrund der Resignation, wieder auf sich selbst gestoßen. Der Blasenstein lag, wie die Krone, wieder in Gottes Hand. Die Taube des Heiligen Geistes hatte ihr Ei in seinen Schoß gelegt. Er würde es vor dem Bohrer zu schützen wissen.
    Der Morgen war bedeckt, doch nicht kühl, als der Hausherr, im leichten Jagdkostüm, den hohen Gast am entfernten Ende der Rosenlaube erwartete. Diese war Manteuffels Werk und Stolz, ein weitläufiges, bis in den Herbst hinein verwunschen duftendes Labyrinth aus weiß erblühten Sträuchern ohne Zahl, und lag nach der Hinterseite des Herrenhofs auf einer terrassierten Plattform. Von ihrem Rand überblickte man den Gewürz- und Gemüsegarten, der von einer mannshohen Steinmauer umlaufen war. Die Marke setzte sich als Lebhag ins Parkgelände fort und trennte es vom Ufergehölz des nahen, vielfach gewundenen Flüßchens.
    Kotzebues seemännischer Blick suchte die Weite umsonst nach einer menschlichen Figur ab. Da schrak er zusammen, denn neben ihm stand plötzlich der Zar, in weißer Hose, die auf der Seite einen langen Riß aufwies, und mit taunassen Stiefeln.
    Noch springe ich, Otto, wenigstens über eine Mauer.
    Ich wünsche einen guten Morgen, Majestät.
    Schon gehabt, Herr von Kotzebue. Es liegt mir daran, Otto – auch wenn es eigentlich überflüssig ist –, Sie meines uneingeschränkten Vertrauens zu versichern. Sie werden wieder
fahren
. Sobald Ihr häusliches Glück es erlaubt, kommen Sie zu Ihrer nächsten Weltumsegelung – und werden sie vollenden, zur Ehre Rußlands, zum Gewinn der Wissenschaft. Sie müssen die Nordwestpassage finden. Wie anders können wir unsere Besitzungen am Großen Ozean auf Dauer versorgen? Sie tragen sich nicht selbst, und der Seeweg ist unsicher, der Landweg endlos.
    Es sei denn, Majestät, sagte Kotzebue, Sie könnten sich entschließen, die entfernte Ostküste als zweites Gesicht Ihres Reiches zu betrachten.
    So betrachten kann ich es gerne, sagte der Zar, aber können Sie mir verraten, wie ich es auch so behandeln soll? Selbst wenn wir Menschen und Schiffe hätten, die ganze Westküste Amerikas zu bemannen, meinetwegen noch ein paar hundert Inseln dazu – wir müßten ununterbrochen Krieg führen, mit Spanien, England, Frankreich, auch mit den Vereinigten Staaten. Jeder seetüchtige Zwerg kann uns die Wege von einem Ende des Reichs zum andern verlegen. Unsere ganze Größe liegt auf dem Land, es ist aber auch die einzige. Wir müßten nach Süden so weit kommen wie nach Osten – nach Afghanistan, Persien, Indien. Aber da sitzen andere Völker als Tschuktschen, Samojeden und Indianer, und überall auch schon andere Europäer.
    Wir dürfen nicht nur Europäer sein, Majestät.
    Was wären wir sonst? fragte Alexander. – Ein leeres Blatt! Ein stimmloses Ungeheuer! Rußland könnte etwas sein – wenn nur die Russen nicht wären!
    Die Amerikanische Union hat ein ähnliches Problem, sagte Kotzebue. – Alles drängt sich an der Ostseite zusammen.
    Wir werden noch erleben, wie die Amerikaner den Westen erobern, sagte der Zar. – Und wenn sie da sind, haben sie eine endlos weite warme Küste. Das sind Unternehmer! Vielleicht wäre es das Beste, ihnen unsere Besitzungen gleich zu verkaufen. Welche Last wären wir los!
    Wie sie sind, kauft sie uns keiner ab, Majestät, er nimmt sie sich, wenn er will, und wir können ihn nicht einmal hindern.
    Also denn – was? fragte der Zar.
    Bauen Sie eine Eisenbahn durch Sibirien, nicht, um noch mehr zu erobern. Um zu verdauen, was wir haben.
    Eine Eisenbahn? fragte der Zar. – Was soll das heißen?
    Railroads
, sagte Kotzebue, oder Schienenwege sind fahrbare Straßen mit festen Gleisen

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