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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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zeichnete die Lippen stärker gerafft, als sie von Natur waren, und anstelle der Brauen zogen sich dünn gezogene Bögen hoch in dieStirn. Auch die äußeren Augenwinkel zeigten eine schwarze Zeichnung, die ihren Schnitt verlängerte und von den Augen selbst nur einen Spalt sehen ließ, doch sie schimmerten blau. Die Nase war stärker, als man bei einer Asiatin erwarten würde, aber obwohl sie unter dem Gewicht ihres Kopfschmucks wie eingesunken ging, konnte man sie nicht eben klein nennen.
    Doch gönnte sie dem Publikum kaum Muße zur Musterung. Denn sie war kaum in die Mitte des Salons gelangt, als sie auf die Knie sank und, das Haupt vor dem Zaren gesenkt, nur noch ihr glänzend schwarzes Haar sehen ließ, eine hoch aufgebaute, kunstvoll verschränkte Coiffure, zusammengehalten von zwei Kämmen aus Schildpatt und einem Gesteck langer Nadeln mit Bernsteinknöpfen. Der weiß gepuderte Nacken beugte sich tief, und sein Ansatz verdämmerte im Winkel des Kragens, wo wieder das rote Untergewand zu sehen war. Sie hatte die Hände vor sich auf den Boden gelegt und schien eine mit der andern verdecken zu wollen.
    Ihr Begleiter war stehengeblieben, ohne sich dem Zaren zuzuwenden. Er hatte beim Eintritt auch den Dreispitz nicht abgenommen, den ihm jetzt Otto von Kotzebue behutsam vom Kopf hob; darunter kam eine weiß gepuderte Perücke zum Vorschein, mit einem Zopf, den eine schwarze Masche zusammenhielt, zum Schmetterling geknüpft. Der Hausherr verkündete nicht laut, doch förmlich: Hermann Ludwig von Löwenstern.
    Als sich der Vorgestellte nicht rührte, erhob sich Alexander selbst.
    Seien Sie uns gegrüßt, Kapitän.
    Der uniformierte Mann gab dem Zaren keinen Blick. Es entstand eine schwerwiegende Stille. In ihr sagte Krusenstern vernehmlich:
Das ist nicht Löwenstern
.
    Der Offizier wandte ihm den Kopf zu, während der Zar sich zögernd wieder setzte.
    Er ist nicht recht bei sich, sagte Amalie von Kotzebue, oft wandelt er im Schlaf.
    Sie hatte sich in ihre Sofaecke zurückgezogen, und man bemerkte, wie sich die Gardisten in Positur setzten, bereit, sich bei derersten verdächtigen Bewegung auf den fraglichen Löwenstern zu stürzen. Doch dieser stand wie eine Wachsfigur.
    Gestatten Sie, sagte Schiferli, halb zum Zaren, halb schon zu Löwenstern gewandt; denn er war auf diesen zugetreten, ergriff sein Handgelenk und prüfte seinen Puls. Dann zog er ihm die Augenlider nieder.
    Kaum fünfzig Puls, sagte Schiferli. – Blutdruck tief.
    Hobōrin
, sagte die Japanesin mit hoher Stimme, und nochmals:
Hobōrin
.
    Was sagt sie, Kotzebue? fragte der Zar.
    Ich kann kein Japanesisch, Majestät.
    Schiferli war etwas zurückgetreten. – Die Funktionen sind normal.
    Die Bemerkung traf die Stimmung der Gesellschaft durchaus nicht und hatte dennoch etwas Entlastendes. Man befand sich also in einer klinischen Demonstration mit einem völkerkundlichen Einschlag.
    Krusenstern erklärte halblaut: Löwenstern war ein schlanker, fast dürrer Mensch, man durfte ihn nervös nennen. Und er war fast weißblond. Diese Person ist eine andere.
    Bis auf die Augen, sagte Kotzebue, die Augen passen.
    Just die Augen passen nicht, erwiderte Krusenstern.
    Hat er sich in Ihrer Zeit sehr verändert, Madame? fragte der Zar, zur Frau des Hauses gewendet.
    Ach Gott, Majestät, sagte Kitty von Kotzebue, so gut kenne ich ihn gar nicht.
    Wie lange ist er denn schon im – Stift? fragte der Zar. – Wann wurde er ausgemustert?
    Waterloo war vorbei, als mein Vater das Kamtschatka-Stück probierte, sagte Kotzebue, dann wurde umgebaut für ein bürgerliches Rührstück. Die Kulisse blieb auch für «Resanow» stehen, weil das Geld für eine neuspanische Hazienda fehlte. Löwenstern muß kurz vor dem Wiener Kongreß abgedankt worden sein – das wäre jetzt fünf Jahre her, aber darüber wüßte mein Schwiegervater mehr. Mit Bewußtsein habe ich persönlich Löwenstern das letzte Mal anBord der
Nadeschda
wahrgenommen, bei ihrer Ankunft im August 1806. Dieser Mann sieht ihm in der Tat nicht ähnlich, aber in vierzehn Jahren verändert man sich, besonders bei seinem Leben.
    Er ist es
nicht
, insistierte Krusenstern. – Ich werde doch meine Offiziere erkennen. Sehen Sie seine Händchen an. Sind das Hände eines Seemanns? Sogar die Japanesin hat größere.
    Der richtige Hermann Löwenstern lebt in Rasik, verkündete ein Herr von Üxküll mit Bestimmtheit. – Hier sitzen so manche, die ihn in den letzten Jahren gesehen haben. Man sollte ihn diesem Doppelgänger einmal

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