Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
Vom Netzwerk:
zu
ver
schwinden begann. Sahen sie recht? Die Person war nicht kleiner geworden; sie war immer noch da – und zugleich war sie es nicht. Was blieb, waren die offenen Arme Chamissos; undlangsam, als trüge er noch etwas und als trüge er jetzt erst merklich daran, ging er zu der Löwenstern genannten Person hinüber, die immer noch regungslos in der Mitte stand. Und siehe, diese hatte die Frauenkleider fallenlassen, oder sie waren ihrerseits verschwunden; denn Chamisso legte ungestört die Arme um sie. Und man konnte förmlich zusehen, wie sich auch die Arme der Offiziersperson langsam hoben und Chamisso umfingen; als ihre Stirn auf die Schulter des Dichters fiel, waren sie beide von gleicher Größe, Zwillinge, brüderlich ungleich wie Löwenmähne und Soldatenzopf.
    Sie verweilten in stummer Umarmung; auch der Gesellschaft blieb die Sprache weg. Nur Kittys Schluchzen war hörbar, und der Zar nahm sie in den Arm.
    Die Person und der Dichter ließen einander los; Chamisso trat einen Schritt zurück. Löwenstern aber verneigte sich vor dem Zaren, der in Verlegenheit geriet; dann erhob er sich und streckte die Hand aus. Aber Löwenstern nahm sie nicht, sondern sagte mit lauter Stimme:
Heute sterben Sie noch nicht
.
    Er preßte das Frauenkleid in den linken Arm. Mit dem rechten vollführte er eine weite Kreisbewegung, verbeugte sich gegen Chamisso und verließ den Raum mit festem Schritt. Der Zar gab den Wachen einen Wink, ihm nicht zu folgen.
    Wo geht er hin? fragte jemand.
    Er ist in Gottes Hand, flüsterte der Zar. –
Quel miracle
!
    In diesem Augenblick stürzte Kitty von Kotzebue mit einem lauten Schrei zu Boden und umschlang seine Knie. Es stirbt, wimmerte sie. – Es ist tot! Majestät –
    Er blickte auf das Köpfchen nieder, das sein aufgelöstes Haar haltlos, schutzsuchend an seinem Beinkleid rieb; doch allmählich wich der Ausdruck der Betretenheit aus seinem Gesicht, das sich zusehends gerötet hatte. Er beugte sich über Kitty und ergriff sie sanft bei den Schultern.
    Nicht doch, sagte er. – Stehen Sie auf, Kitty. – Und erhob sich nun seinerseits, um die aufgelöste Frau nachzuziehen; Otto Kotzebue eilte herzu, um sie zu stützen. Der Zar, der aus der Armbindegeschlüpft war, legte jetzt die Hände auf ihren hohen Leib und schloß die Augen. Sein Gesicht verklärte sich, während Kitty zu murmeln begann; es klang wie ein Gebet. Plötzlich richtete sie sich auf und legte ihre Hände auf die des Zaren. – Es hüpft! jauchzte sie, durch Tränen lachend. Spüren Sie? es hat gehüpft! Ach, Majestät –! und sie beugte den Nacken und bedeckte seine Hand mit Küssen.
    Er litt es eine Weile mit geschlossenen Augen; dann öffnete er sie, entzog ihr seine Hände mit einer kurzen Grimasse – wer dachte nicht an seinen kleinen Finger? – und schlug feierlich das Kreuz über sie. Dann blickte er nach dem Gatten, der einen Schritt zurückgetreten war.
    Otto, sagte er, sie braucht Ruhe. Unser Besuch hat zu viele Umstände gemacht. – Und schon hatte er der innig verneinenden Kitty den Arm gereicht, nachdem er seine baumelnde Armbinde ganz abgeschüttelt hatte.
Quel miracle!
wiederholte er zu Kitty, die sich mit einem kurzen Schluchzer bei ihm eingehakt hatte, und zu Otto: Begleiten Sie uns an die frische Luft?
    Kotzebue wandte sich, während das Paar schon auf dem Weg zur Tür war, noch einmal nach der Gesellschaft um und sagte mit schmalen Lippen: Lassen Sie sich nicht stören, Herrschaften. Man ist gleich wieder da.
    4 Das leere Sofa strahlte eine Präsenz aus, die Schweigen gebot. Die Gesellschaft rührte sich eine ganze Weile nicht. Schließlich war es Krusenstern, der das Wort ergriff.
    Sie ist wohlauf! erklärte er gebieterisch.
    Das Kind auch, unterstützte ihn seine Frau Juliane. – Eine Frau erträgt viel mehr, als sie denkt, besonders in der Schwangerschaft. Und seine Majestät wirkt Wunder.
    Der Zar
ist
ein Wunder, immer noch! übertrumpfte sie eine Stimme aus dem Hintergrund, vielleicht Herr von Brevers, aber sein Kontertenor war vom Diskant seiner Frau nie zu unterscheiden.
    Schade um Löwenstern, sagte Herr von Dethloff, da ist Hopfen und Malz verloren.
    Er hat sich nicht einmal gerührt, als seine Frau –! Frau von Knorrings Stimme wurde von einem Weinkrampf überwältigt.
    Es war
nicht
seine Frau, Ilse, korrigierte ihr Gatte.
    Und er ist noch immer nicht Löwenstern, sagte Krusenstern, aber die
Frau
hatte seine Augen.
    Unfug, verdammter! brach Herr von Üxküll aus, sein kleiner Kopf hätte

Weitere Kostenlose Bücher