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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Frau.
    Fräulein,
korrigierte sie. – Ich bin Stiftsdame. Kennen Sie die Dichterin?
    Ein wenig, sagte er, aber es ist ein Dichter. Ein Mann.
    Dann sagen Sie ihm, er sei ein wahrer Kenner der Frauenseele.
    Ihr Kopfzittern war beängstigend geworden.
    Chamisso verneigte sich. – Ich werde es gern bestellen, gnädiges Fräulein.
    Gibt es Noten dazu? fragte sie. – Meine Nichte spielt das Piano.
    Ich fürchte nein, sagte Chamisso.
    Dann komponiert Wilhelmine sie selbst. Das Gedicht ist ja das
Bild
einer glücklichen Ehe.
    Chamisso verbeugte sich abermals.
    Und was diesen verrückten Offizier betrifft,
neveu
, fuhr sie fort, an Kotzebue gewandt, er muß sich nur ordentlich verheiraten! Soll den richtigen Löwenstern zum Muster nehmen, der ist ein Ehrenmann. Das sage ich laut, in Gegenwart Seiner Majestät! Kitty, du kümmerst dich darum, aber du, Otto, bleibst verantwortlich. Wenn dieser Sogenannte von Stand ist, dann braucht er eine Frau, und zwar eine Partie, die ihm auch was gönnt! Sonst nehmen seine Flausen kein Ende.

Nachwort des Herausgebers

    1
    Die Aufzeichnungen, die hier mitgeteilt werden, haben sich über zweihundert Jahre vor der Welt verborgen. Ivar K., der heutige Besitzer des Gutes Raasiku südöstlich von Tallinn/Estland, förderte sie bei der Renovation eines alten Pferdestalls ans Licht. Löwensterns Manuskript fand sich im ausgehöhlten Buchkörper eines «1826» etikettierten Jahrgangs von
Cobbett’s Political Register
, der, zusammen mit intakten Bänden derselben Zeitschrift, in einem messingbeschlagenen Kasten hinter dem ehemaligen Futtertrog eingemauert war. Der marmorierte Einband verriet die Handarbeit eines Liebhabers. Ivar hatte den Fund zum Antiquitätenhändler nach Tallinn gebracht, der aber nur am Kasten interessiert war und die Zeitschriften als Altpapier in Kauf nahm. Den präparierten Band allerdings hatte Ivar zurückbehalten. Zwar las er kein Deutsch mehr, schon gar nicht die alte Kurrentschrift. Doch vielleicht fand sich eines Tages jemand, dem sie etwas sagte.
    Dieser Glückliche war ich, am Mittwoch, dem 18. Mai 2011.
    Auf einer Reise nach Japan hatte ich die Ostsee zweimal achtlos überflogen, war aber nach der Rückkehr auf ihren östlichen Rand zurückgekommen, in die neue EU-Provinz Estland, um an einem Kongreß über den Zusammenhalt Europas teilzunehmen. Es war zugleich die Gelegenheit für einen Lokaltermin in eigener Sache. Der Geist des Zürcher Astronomen Caspar Horner, der mir in meinem letzten Roman erschienen war, hatte zugleich die erste russische Weltumsegelung 1803–1806 heraufbeschworen, an welcher Horner als Astronom und Geodät teilgenommen hatte, von Anfang an eine Fahrt auf Messers Schneide. Denn dem Forschungsinteresse der Expedition, für das der deutsch-baltische Kapitän Adam Krusenstern zuständig war, wurde noch ein politischer Auftrag aufgesattelt. Mit einer diplomatischen Mission in das verschlossene Japan wollte Rußland nicht nur das holländische Monopol auf den Japan-Handel brechen, sondern auch seine Expansion um den nördlichen Pazifik strategisch absichern. Der prospektive Gesandte Resanow war zugleich, als Direktor der «Russisch-Amerikanischen Compagnie», Herr des fernöstlichen Pelzhandels und betrachtete die seemännische und wissenschaftliche Kompetenz Krusensterns nur als Mittel zum eigentlichen Zweck der Expedition. Da der Weltumsegler sichnicht zum Fuhrmann degradieren ließ, war von Anfang an für Streit auf der
Nadeschda
gesorgt, und die Mission drohte schon zu scheitern, bevor sie – auf der Westroute über Kap Hoorn – Petropawlowsk, den ersten russischen Hafen am Pazifik, erreicht hatte.
    Das Journal, das der vierte Offizier der
Nadeschda
, Hermann Ludwig von Löwenstern, über diese denkwürdige Reise geführt hat, war nur für seinen persönlichen Gebrauch bestimmt und stellt darum die Verhältnisse ungeschminkt dar. Es wurde erst im vergangenen Jahrzehnt von Victoria Joan Moessner, einer verdienstvollen Universitätsgermanistin im ehemals russischen Alaska, entziffert und publiziert. Die Tagebücher des Fünfundzwanzigjährigen zeigen einen Charakter, dem man in seiner Altersgruppe auch heute begegnen könnte: zugleich salopp und unsicher, mit gutem Auge für das Detail, in seiner Reflexion eher anspruchslos, doch lausbübisch und mit Geschmack am Galgenhumor; als Parteigänger des Kapitäns keineswegs unkritisch, aber vernichtend in seiner Kritik der «Passagiere», namentlich des präpotenten Gesandten. Diesem jungen

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