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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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– gleich fühlt man sich wieder als Mensch! Kitty blüht, meine Hand ist heil – und wir haben einen Dichter am Werk gesehen!
Poésie pure
, lieber Chamisso – Sie waren begnadet. Der Mann mag Löwenstern heißen oder nicht – was zählt ein Name! Er ist in den Kreis der Lebenden zurückgekehrt! Immer noch bedenklich, Otto?
    Man kann hoffen, er werde wieder er selbst.
    Kitty richtete sich auf. – Wer ist man denn selbst? Wer weiß das so genau! Das kann einem nur die allernächste Seele sagen! Oh, Chamisso, wir haben gesehen, was er braucht. Einen Freund!
    Chamisso lächelte. – Ich hätte ihn gerne mitgenommen.
    Warum tun Sie’s nicht! rief Kitty. – Nehmen Sie ihn nach Berlin!
    Ich könnte ihn nicht ernähren, verehrte gnädige Frau.
    Aber auch Sie haben Freunde! bettelte Kitty.
    Ah, Madame
, sagte Chamisso mit einer leichten Verbeugung, wohl habe ich sie, doch wohlhabend sind sie nicht. Er käme vom Regen in die Traufe. Wir sind Fremdlinge auf Erden. Unser Kreis besteht aus Franzosen, Juden – er deutete gegen Schiferli einenenergischen Kratzfuß an –, und unsere Deutschen sind –
eh bien
– Geisterseher und Schmetterlingsjäger. Es liegt auch immer etwas Staatsgefährliches in der Luft, das sich in Preußen nicht wie unter Ihrer kaiserlichen Majestät – hier verneigte er sich tief gegen Alexander – der allerhöchsten Sympathie erfreut. Darum hüte ich mich, uns einen
Club
zu nennen.
    Aber Prinzipien haben Sie ja wohl, sagte Alexander.
    In der Freundschaft darf man nicht zu viele Prinzipien haben, Majestät, sagte Chamisso, sie ist ein fortwährendes Experiment, und seine Resultate sind nur literarisch erheblich – hoffen wir jedenfalls. Wir sind übereingekommen, uns durchaus niemals mit schlechtem Machwerk zu quälen. Wir betrachten uns als Handwerker, doch einen goldenen Boden – den hat unser Handwerk leider nicht. Wir leben davon, daß wir einander unseren Schatten ausleihen.
    Ah! rief Kitty, Peter Schlemihl, der Mann, der seinen Schatten verkauft! Wer hat es nicht gelesen!
    Das folgende Schweigen deutete eher darauf, daß es niemand gelesen hatte.
    Leider, Gnädigste, sagte Chamisso, darf ich mich keines Bunds mit dem Teufel rühmen. Dafür bleibt mir auch die Not erspart, in Gold zu schwimmen. Kein Glückssäckel, keine Tarnkappe, keine Siebenmeilenstiefel, nicht einmal ein Brotkorb. Sonst hätte ich auch ohne die
Rurik
eine Stelle als Naturforscher gefunden, und Freund Otto wäre viel erspart geblieben.
    Was hat Ihr «Mann ohne Schatten» eigentlich zu bedeuten? fragte der Zar.
    Majestät sind nicht der erste, der die Frage stellt, aber der erste, dem ich sie beantworte, sagte Chamisso. – Sehen Sie: Ich war als preußischer Leutnant bei Hameln dabei, gemeinhin bekannt als «die Schmach» oder auch «der Verrat» von Hameln. Soll heißen, daß wir Napoleon die Festung ohne Kampf überließen. Wir hatten keine Chance – außer derjenigen, bis zum letzten Mann zu verbluten. Unser Kommandant verzichtete darauf, sie wahrzunehmen, sonst hätte ich nicht das Privileg, vor Ihnen zu stehen. Aber, Majestät: Sie können sich die Gefühle gar nicht
gemischt
genug vorstellen,mit der ich die Grenadiere Napoleons in Hameln einziehen sah. Sie redeten meine Sprache – meine deutschen Kameraden auch. Ich warf einen zweifachen Schatten – wollte ich nicht die Seele verkaufen, um nur noch einen deutschen oder französischen zu werfen, blieb kein Mittel, als auf Schatten ganz zu verzichten.
    Das haben Sie im Buch aber anders beschrieben, sagte Kitty.
    Bücher sind gerne klüger als ihre Verfasser, erklärte Chamisso, dafür sagen sie nicht alles. Sie verraten zuviel, und nie genug. Auch meine Berliner Freunde sind Verräter, jeder in seiner Art, und dennoch treu – sei es einem einzelnen Menschen oder auch einmal sich selbst. Aber der einzige Schatten, den wir werfen, steht auf Papier. Es sind Erzählungen, die wir austauschen und einander vorlesen; das ist unser Schattenverleih.
    Sie haben zur Zeit keine Position? fragte der Zar. – Man könnte etwas für Sie tun.
    Um Vergebung, Majestät, das kann man nicht, erwiderte Chamisso.
    In die hörbare Stille hinein sprach eine zittrige Frauenstimme: Ich bin Friederike von Essen und schwer von Gehör. Aber Musik und Gesang höre ich immer noch gut. Darum frage ich Sie: Was Sie da eben vorgetragen haben, Herr von Chamisso, war doch kein Volkslied?
    Chamisso schien gleich zu wissen, wovon die alte Dame redete.
    Leider nein, gnädige

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