Loewenstern
Salon zu begegnen und – warum soll ich’s leugnen? – von seiner Unbefangenheit zu profitieren. Damit hätte ich mich, schon wieder ahnungslos, auch beim Herzog in die Nesseln gesetzt. Sie sehen, wie es um meine Berufung zum Sittenrichter steht. Bin ich besser als meine Kusine? Ich bin nur weniger klug.
Jetzt hilft nur noch eine Weltreise – ich bin reif für die See.
Leben Sie wohl, Exzellenz. In zwei Jahren komme ich aus Japan mit einem zuverlässigen Bild der Welt zurück, oder besser gar nicht.
III
Archangel. Krätze
1 Exzellenz,
ich bin elend.
Drei Jahre sind seit meinem letzten Brief aus Petersburg vergangen. Vor fünf Monaten habe ich mein Journal hinterlegt. Den Empfang beliebten Sie zu quittieren. Seither sind Sie verstummt.
Dafür bin ich nach Archangel kommandiert, was ich nur als Strafversetzung betrachten kann. Also habe ich Anstoß erregt. Womit?
Mit Willen und Wissen habe ich nichts unterschlagen, was der Expedition begegnet ist, ohne Rücksicht auf Personen, meine eigene eingeschlossen. Vielleicht habe ich nicht
alles
gesagt. Dann stand mir nur die Scham im Wege – was konnte ich über Japan berichten? Ich bin ja gar nicht dort angekommen.
Hätte ich mogeln sollen wie Gulliver?
Oder haben Sie mich gar nicht gelesen? Hatte sich mein Auftrag erledigt? Ist sein Verfasser längst abgeschrieben?
Ich führe immer noch Journal. Der gestrige Eintrag lautet wie folgt:
So kam der Befehl, den vorräthigen Proviant in Archangel zu untersuchen und die Uhrsachen anzugeben, woher er in so kurzer Zeit hatte verderben können. Der Brandtwein war nemlich schlecht, u ein Grüner Schaum wie Seifen Blasen schwamm auf der Oberfläche, die Zwiebacken waren Verschimmelt und Wurmfrasig, das Salzfleisch war Verfault, u die Butter hatte sich in Talg verwandelt. – Leider wurde ich zum Präses dieser Untersuchung gezogen ernannt. Meine Ermahnung, das keiner sich unterstehen sollte, mich in seine Spitzbubereyen zu verwickeln, fruchtete, u ich hatte das Glück, dieses Penieble Geschäft zur allgemeinen Zufriedenheit zu beendigen, nur leyder mit Aufopferung meiner Gesundheit
.
Verdient dieses Leben noch eine Orthographie?
Ich hasse die Uniform, aber ohne sie fiele ich auseinander. Es gab Tage, wo mich nur noch der Frost zusammenhielt. Ich hütete mich vor jedem warmen Wort, es hätte mich zerfließen lassen; zum Glück ist in Archangel nichts dergleichen zu befürchten. Ich habeden Schlüssel zu mir selbst verloren, Exzellenz. Wo soll ich ihn suchen? Alles ist dunkel, aber soviel sehe ich noch: der einzige Ort, wo ich ein bißchen Licht hatte, war unsere Korrespondenz; die Quelle dieses Lichts waren Sie. Ihre Person war nur zu erraten, Sie blendeten zu sehr. Aber wenn ich die Augen niederschlug, brauchte ich Sie nicht anzusehen. Ich folgte meiner Feder, wie sie sich durch das Papier arbeitete, und konnte mir einbilden, sie zeichne, Strich für Strich, Ihren Schatten auf die weiße Leere. Ich schrieb nur für mich und glaubte zugleich, Sie einzufangen wie in einem fein gestrickten Netz. Schreibend bewies ich mir Ihre Gegenwart, und zugleich hatte ich die meine nur durch Sie. Sie schenkten meiner Feder Geläufigkeit, und manchmal flog sie wie im Tanz von Satz zu Satz.
Wo sind wir stehengeblieben?
Das bekannte Rußland liegt ganz am westlichen Rand seiner Landmasse, es hat nur Augen für Europa. Seine andere Seite bleibt im Dunkel. Land, und je weiter man geht, um so weiter wird auch das Land, erstarrt in seiner Größe, festgefroren in Unendlichkeit. In unvorstellbarer Ferne, wo Land und Himmel zusammenfließen, beginnt die Leere. Sibirien ist der Name für einen Zustand, wo alles aufhört. Kann man in Sibirien etwas anderes sein als verdammt?
Da bin ich nicht durch, wie Chwostow und Dawydow. Ich bin zu Schiff um die halbe Welt gesegelt, um mit Augen zu sehen, daß das endlose Land doch an ein Ende stößt, mit Schrecken. Ich habe das Gebrüll gehört, mit dem es bricht, um mit zerrissenen Klippen ins Meer zu stürzen, verschlungen von der nächsten Unendlichkeit. Über dem Ozean hängt immerwährender Nebel, die Hütten der Fischer und Pelzjäger ducken sich am Rand des Nirgendwo. Und darüber schweben, schwarz und weiß, die abweisenden Krater einer Mondlandschaft. Die Küste bleibt verhüllt, bis das Schiff mit der Nase darauf stößt, und dann ist es zu spät.
Solche Sätze schreibe ich mit dem Blut, das mir die Mücken täglich abzapfen.
Auf der Südseeinsel Nukahiwa kam es zum Eklat. Resanow erklärte
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