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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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vor aller Ohren, der Kapitän sei keine Kopeke wert und verdiene nichts Besseres als die Degradation zum gemeinen Matrosen. Am besten hänge er sich gleicham Mast auf. Damit erklärte sich Krusenstern für abgesetzt und forderte Resanow auf, das Schiff zu übernehmen. Aber da der Gesandte nicht das geringste von Seefahrt verstand, setzte man die Fahrt, ohne ein Wort miteinander zu wechseln, unter dem Kommando Krusensterns fort. Er beabsichtigte, es niederzulegen, sobald der nächste russische Hafen erreicht war, um auf dem Landweg nach Petersburg zu reisen und die Gerichte anzurufen
.
    Als die
Nadeschda
in Petropawlowsk anlegte, war die Expedition am Ende. Die Mannschaft rechnete mit Entlassung; die Parteien setzten Briefe auf, um dem Zaren den Fehlschlag anzuzeigen, unter Entlastung der eigenen Person. Aber Gouverneur Koschelew tat sein Bestes, das Debakel zu verhüten. Er verwendete seine ganze Bonhomie darauf, die Kontrahenten zur Fortsetzung der Reise zu bewegen. Sie hatten viel zu verlieren: Krusenstern sein Renommee und den Lorbeer der ersten russischen Weltumsegelung, und mit Resanows Gesandtschaft nach Japan wäre auch die Aussicht auf das große Fernostgeschäft geplatzt
.
    Nun war das Gröbste abgewendet, und am 25. August 1804 stach die
Nadeschda
in See, einem Sturm im Japanesischen Meer entgegen, den wir nicht zu überleben glaubten; danach waren wir reif für das Scheitern in der Bucht von Nagasaki. Es war fast lautlos, doch umfassend, denn diesmal scheiterte die Mission endgültig an sich selbst.
    Der Wahnsinn der
Nadeschda
hatte schon mit der Zusammensetzung ihrer Belegschaft begonnen. Seeleute und Hofleute, Russen und Deutsche, Gelehrte und Gestörte – und drei Japanesen. Das war etwa, als sperrte man Bären, Schakale, Lamas und Fledermäuse zusammen in einen Käfig und verpflichtete sie, eine zivilisierte Gesellschaft zu bilden. Schon hinter Teneriffa, als Resanow den Ukas aus der Tasche zauberte, der
ihn
, nicht Krusenstern, zum Haupt der Expedition bestimmte, gerieten alle Grundsätze ins Wanken, und in der Südsee fiel sogar derjenige, daß der Kapitän auf See zu sagen hat, der Gesandte an Land. Dieser spielte sich auch an Deck als Oberherr auf, und da ihm Seefahrt nicht mehr bedeutet als Seekrankheit und Langeweile, dominierte er durch Übellaune, Intrigen, Sabotage, Bestechung und Erpressung.
    Leider ist Krusenstern auch als Kapitän ganz Gutsherr, ein Mannder Vermittlung, der lieber präsidiert als befiehlt. Er braucht faire Mitspieler und zivile Verhältnisse. Auf der
Nadeschda
hätte er ein tobender Seebär sein müssen, und dafür war er sich zu gut. So wurde er ein Meister im Wegsehen, und wenn uns der Gesandte zur Weißglut brachte, war er anderweitig beschäftigt. Wir nannten ihn Gottvater – aber vom Jehova des Alten Testaments besaß er weder Allmacht noch Temperament, nur die Empfindlichkeit. Damit regte er das Rattenpack auf, statt es im Zaum zu halten. Am liebsten hätte er, wie der Gott der Aufklärung, sein Werk aufgezogen, mit einem Finger in Gang gesetzt und sich zurückgelehnt, um zuzusehen, wie es weitertickte bis ans Ende der Welt. Dieses aber hatten wir auf der
Nadeschda
jeden Tag – Krusenstern lehnte sich trotzdem zurück. Der Kammerherr hat die Expedition verdorben, der Kapitän hat sie im Stich gelassen. Er konnte sie erst schlecht und recht zu Ende führen, als wir Resanow losgeworden waren. Dafür wurden wir mit Lisjanski geschlagen, dem Kapitän der
Newa
, der die Sitten amerikanischer Pelzjäger nach China importierte und die gemeinsame Rückfahrt ums Kap der Guten Hoffnung verweigerte, um sich in Kronstadt noch vor seinem Chef über die Ziellinie zu drängeln.
    Damit aus minus mal minus plus wird, bedarf es mathematischer Verhältnisse; die Multiplikation von Schwächen, die unvereinbar sind, ergibt das reine Chaos. Jeder an Bord der
Nadeschda
trug dazu bei – auch der immer um Billigkeit bemühte Horner, mein einziger Freund. Ohne seine Meßkunst wären wir nicht einmal in die
Nähe
Japans gekommen. Dafür hat er mich mit seiner moralischen Pedanterie sekkiert; dann wurde es in unserer Kajüte noch enger. Die wissenschaftlichen Passagiere waren zu kapriziös und selbstsüchtig, um zur Ruhe an Bord beizutragen. Wenn es hart auf hart ging, begannen sie zu kriechen und drehten ihr Mäntelchen nach dem Wind. Unter unseren Verhältnissen konnte ein Tolstoi, der fähig war, sich
jederzeit
mit
jedem
anzulegen, beinahe als Charakter gelten.
    Ich bin selbst in einer

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