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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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auch
unsere
drei Japanesen wieder mitnehmen müssen. Die menschlichen Unterpfänder des Handels kamen in den traurigen Fall, sein Mißverständnis zu verkörpern. Schon auf der Reise bewegten sie sich wie Gespenster am hellichten Tag. Tolstoi war der einzige, der ihre Sprache redete, aber wahrlich nicht der Richtige: denn er hielt sie nur, wie seine Äffin, als Versuchstiere für böse Streiche. In Rußland waren sie immerhin Objekte allgemeiner Neugier gewesen; nun kamen sie, statt zu Hause, im Niemandsland an. Hätte sich derjenige, den Tolstoi als Spielzeug benutzt hatte, nicht den geschändeten Mund zerschnitten, sie wären gar nicht von Bord gekommen. Ein Verzweiflungsakt war nötig, damit die Japanesen ihre Muster ohne Wert zurücknahmen, und ich stelle mir lieber nicht vor, was in der entfremdeten Heimat aus ihnen geworden ist. Wenigstens um
diese
Last erleichtert, suchte die
Nadeschda
das Weite.
    Nein, wir sind nicht nach Japan gekommen. Und doch. Die ersten Stunden waren voller Verheißung, wenigstens für mich.
    Als wir ankamen, war Dämmerung eingefallen. Wir ankerten nahe Nagasaki im Schatten einer Insel, vor uns die schmale Bucht, über und über mit Lichtern besät. Auf dem Wasser waren die Glühwürmchen in Bewegung; am Land sammelten sie sich zu Nestern und zogen sich, wie eine Festbeleuchtung, in zwinkernden Girlanden bis ins Gebirge empor. Das Bild hatte eine fremde
Heimlichkeit
, die mir den Atem stocken ließ – als breite sich vor meinen Augen die Tiefe einer unverlorenen Kindheit aus. Da und dort glosten rötliche Feuer, alles in tiefer Stille; jede Welle hörte man an den Leib der
Nadeschda
schlagen, auch die Mannschaft stand auf Deck, ohne sich zu rühren.
    Schon bei der Anfahrt hatten wir an der Küste Gruppen reinlicher Hütten ausgemacht, Bambushaine, in denen sich schwere Tempeldächer verbargen, Terrassen von Reisfeldern bis in die Berge hinauf; ein Land wie ein Garten. Natürlich war die Ankunft des fremden Schiffes gemeldet worden, und jetzt, da wir mit geblähten Segeln einfuhren, mußte die Stadt hellwach sein. Doch statt zu summen wie ein Bienenstock, hielt sie den Atem an. Kein Lautdrang herüber, bis endlich das Plätschern von Rudern näher kam. Aus den Laternenreihen, die wie Sätze eines Buchs in der Bucht schwammen, hatten sich zwei, drei Zeilen gelöst. Einen Steinwurf entfernt hielten sie an; ich sah Schriftzeichen auf Papierlaternen und schattenhaft die Reihe der Ruderer mit hellen Kopfglatzen.
    Jetzt aber kam Resanows Auftritt, und die
Nadeschda
wurde zur Bühne. Er hatte sich am Vordeck aufgebaut, inmitten seiner Garde, auf dem Dreispitz wehte sein Federbusch, seine Orden blinkten im Fackelglanz. Und jetzt schrie er Sätze übers Wasser, die er mit unseren Japanesen einstudiert hatte.
Alexander, Zar und Selbstherrscher aller Reußen, entbietet seinem Bruder, dem Kaiser von Japan, seinen feierlichen Gruß und erklärt ebenso, daß er darauf brennt, ihn zu umarmen, in meiner Gestalt, derjenigen seines alleinigen und bevollmächtigten Gesandten, Nikolai Petrowitsch Resanow, Kammerherr Seiner Majestät, Träger des Ordens der Heiligen Anna, Gründer von Resanowskoje-Annonskoje und Direktor der Kaiserlich-Russisch-Amerikanischen Compagnie
.
    Unter allen Eröffnungen diplomatischer Kontakte dürfte diese einzig dastehen, denn es ist unmöglich, in wenig Worten mehr Unmögliches zu sagen. Der japanesische Kaiser (gemeint war, wie immer, der Schogun) weiß von keinem Bruder in Petersburg, noch weniger steht ihm eine Umarmung an, die er als Angriff betrachten würde, und am wenigsten «in Gestalt» des Herrn Resanow, obwohl er eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Zaren kultiviert. Die japanesischen Bootsleute erstarrten angesichts der Tatsache, daß hier eine Langnase ihre Sprache zu sprechen glaubte. Dann lud sie einer unserer Japanesen durch Zuruf ein, an Bord zu kommen. Zögernd legte das erste Boot bei, und eine Gruppe stieg an Deck, dicht hintereinandergedrängt, mit allen Zeichen der Todesverachtung. Wir gaben Raum, sie ließen ihren Oberen vortreten, der mit weiten Hosenwerk so breitbeinig stand, als hätten wir schweren Seegang. Er trug ein lackiertes Hütchen über der Glatze, zwei Schwerter am Gürtel und eine weitärmlige Tunika, die mit Wappensiegeln geschmückt war. Sein Gesicht wirkte bis zur Erstarrung beherrscht.
    Resanow war zur Stelle, ihn mit einer Verbeugung zu begrüßen, die anhaltend erwidert wurde. Da Tolstoi Kabinenarrest hatte, war man für weiteren Verkehr

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