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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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daß ihr Gleichgewicht schlechterdings von meinem abhing. Da sie sich dennoch auf Schwünge und Drehungen kaprizierte, mußte ich, um uns auf den Beinen zu halten, meine ganze Kraft aufbieten. Ho! jauchzte sie, immer ho! und: so geht’s flott! nur immerzu!
    Wir müssen der Gesellschaft das Schauspiel eines brünstigen Paars geboten haben, das vor Gier, sich aufeinander zu stürzen, kaum noch stehen kann. Doch niemand verzog eine Miene, und die Musikanten spielten unerbittlich weiter. Wir waren eine ganze Weile so weitergestolpert, als jemand in die Hände klatschte, um Einhalt zu gebieten. Ich erkannte die Stimme der Hausherrin, die wieder vollkommen beherrscht in unserer Mitte stand. Genug für heute! verkündete sie. Da sich der Herzog früh zurückgezogen hat, wollen wir jetzt auch den Nachbarn ihre Ruhe gönnen! Man rüstete also zum Aufbruch, und der wahre Anlaß dazu war nicht zu übersehen, in Gestalt meiner Tanzpartnerin; denn nachdem ich sie zueinem Sessel geleitet hatte, war sie in sich zusammengesunken und weinte haltlos. Die Verbeugung, mit der ich mich bedankt hatte, beachtete sie gar nicht, ebensowenig den ältlichen Kommerzienrat, der ihr seinen Arm anzubieten versuchte. Schließlich gelang es zwei jüngeren Herren, sie abzuführen, und bald hörte ich draußen Pferd und Wagen vorfahren und wieder verklingen.
    Jetzt dachte die Gesellschaft nicht mehr daran, auseinanderzugehen. Der Stein des Anstoßes war ausgeräumt, und man unterhielt sich angeregt weiter, oder nun erst recht. Ein starker Vierziger mit gerötetem Gesicht, feuchter Stirn und sinnlichem Mund ergriff meinen Arm und führte mich in eine Ecke, um mich zu meinem Verhalten als Kavalier zu beglückwünschen. Als ich mich als Livländer zu erkennen gab, fragte er mich, ob ich Kotzebue kenne? – Den Dichter? wer kannte ihn nicht! – Und mein Hofrat, der sich als Böttiger vorgestellt hatte, begann alsbald zu schwärmen. Der göttliche Kotzebue! Er blieb sein Freund, obwohl Weimar seinen größten Sohn ausgestoßen hatte. – Ich erlaubte mir die Bemerkung, Goethe sei doch immer noch in der Stadt. – Gerade
er
hat Kotzebue vertrieben, schnaubte Böttiger, obwohl er seine Stücke spielen muß, denn das Publikum wünscht sich nichts Besseres! Zugleich tut er alles, um ihn klein zu halten, und geniert sich nicht, für seinen Brotneid den Herzog einzuspannen; denn was ist die «Iphigenie» gegen «Menschenhaß und Reue»! Eulalia, das ist ein Frauenschicksal, das sind Gefühle – zum Lachen und Weinen! – Ich bekannte, das Stück nicht zu kennen. – Aber es ist in zwölf Sprachen übersetzt! rief Böttiger, es wird geliebt, nicht nur zitiert! Davon kann Goethe nur träumen!
    Böttiger schien mir immer weniger der Mann, mit dem ich über Goethen reden mochte, und ich schickte mich gerade an, eine freie Dame zum Tanz zu bitten, als er sagte: Und sie kommen
doch
, die «Japanesen»! Die «Japanesen»? fragte ich, gebannt wider Willen. Er näherte sich meinem Ohr und raunte: Japan ist Weimar! und unbekümmert um meinen Widerwillen begann er, mir die Handlung auseinanderzusetzen.
    Die Japanesen haben einen weltlichen und einen geistlichenKaiser, nicht wahr, exakt wie Weimar. Goethe, der weltliche Kaiser, wußte ganz genau, daß der geistliche Kaiser, nämlich Schiller, der wahre und einzige ist, und bereitete eine Ehrung für ihn vor, mit dem Zweck, ihn unbemerkt zu vergiften. Dafür habe sich Kotzebue ein Glockenfest ausgedacht – Sie kennen doch das «Lied von der Glocke»? – und wollte, als Glockengießer verkleidet, selbst auf die Bühne treten, um die Form zu zerschlagen. Natürlich mußte sie aus Pappe sein, aber Schillers Büste, die sich daraus erhoben hätte, wäre die echte danneckersche gewesen, und seine größten Figuren hätten ihr gehuldigt, Frau von Egloffstein als Jungfrau von Orleans, Frau von Löwenstern als Thekla, Frau von Stein als Amalia. Und als Pointe hätte auch der weltliche Kaiser, also Goethe persönlich, auf den Rivalen das höchste Lob ausbringen müssen, nach dem Bibelwort des heiligen Joseph: ihr zwar gedachtet Böses über mich, aber Gott hat es zum Guten gewandt! Es wäre hinreißend geworden, und wer hat es vereitelt? Kein anderer als der Herr Geheime Rat. Er habe sich platterdings geweigert, Schillers Büste herauszugeben: ein solches Kunstwerk dürfe keiner Beschädigung ausgesetzt werden. In Wirklichkeit habe Goethe das Festspiel vereitelt, um sich eine wahrhaft unsterbliche Blamage zu ersparen. Aber nun

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