Loewenstern
mich bei den Verwandten angekündigt, bekam auch Quartier, doch fiel mir auf, daß die Hausherrin kurz angebunden blieb. Etwas war faul im Hause Löwenstern, und am Gatten konnte es diesmal nicht liegen: der war in Geschäften verreist. Ich bezog mein Dachzimmer, man traf Vorbereitungen für eine abendliche Festivität, zu welcher der Herzog erwartet wurde, aber auch von ihm wurde nur gedämpft gesprochen. Dabei summte das Haus wie ein aufgescheuchter Bienenstock. Löwensterns haben ja zwei Dutzend Dienstboten mitgeschleppt,
Bodenverhaftete
, wie sie in Estland heißen, seit die Leibeigenschaft abgeschafft ist, und die Hausfrau hetzte sie herum, daß ich vorzog, einen Spaziergang an die Ilm zu machen und dann direkt ins Theater zu gehen. Als ich an Goethes verschlossenem Gartenhaus vorbeikam, zerbrach ich mir den Kopf, wie ich ihn noch einmal sehen könne. Denn meine Gastgeberin hatte nur den Mund verzogen, als ich fragte, ob man am Abend mit ihm rechnen dürfe.
Vielleicht begegnete ich ihm ja im Theater, denn sein «Egmont» wurde gegeben, mit der Jagemann als Klärchen; keine Premiere. Doch als ich mich umsah, war von Goethe sowenig zu sehen wie von meiner Verwandtschaft. Ich war in einem keineswegs vollen Saal offenbar auch der einzige, der nicht gewußt hatte, daß die Jagemann ausfiel. Sie war am Vortage abgereist, in die Schweiz, und zwar für immer; sie habe die Kunst ganz an den Nagel gehängt. Ein Weltuntergang – aber da der Klatsch in Weimar auch einen solchen zuverlässig überlebt, wurde ich, beim Gespräch an der Garderobe, über die Gründe nicht im unklaren gelassen, auch wenn ich sie nur im Flüsterton vernahm. Die Jagemann habe den Herzog refüsiert, als er sie zu seiner Gattin linker Hand habe erheben wollen. Dabei habe er von ihrem Jawort nicht nur sein persönliches Glück, sondern auch dasjenige des Herzogtums abhängig gemacht. Da sie an so viel Unglück nicht schuld sein, ebensowenig aber ihre Freiheit verkaufen wolle, habe sie keinen Ausweg gesehen als rasche Flucht.
Nun verstand ich den Aufruhr bei Löwensterns, ließ mir aber die Vorstellung nicht nehmen. Der Direktor, also Goethe selbst, habe darauf bestanden, daß sie gegeben werden müsse. Es wurde denn auch tapfer gespielt, obwohl dem Klärchen-Ersatz, einer ganz jungen Person, der Schrecken über ihr Glück ins Gesicht geschrieben stand. Doch ihr Stammeln paßte zu Schillers Bearbeitung, denn er hatte es darauf angelegt, dem Stoff ebensoviel Schrecken wie Mitleid zu entlocken. Dafür mußte der Bösewicht Alba beim Gericht über Egmont im Hintergrund mit gezücktem Dolch auftreten. Doch auch Schiller, der an einer Erkältung laboriere, ließ sich in der Vorstellung nicht blicken, und danach begab ich mich zum Löwensteinischen Hause zurück, wo es bereits hoch herging. Die Musik spielte, der Tanz hatte schon begonnen; ich stahl mich, um mich frisch zu machen, durch eine Hintertür in meine Kammer. Als ich sie nach einer halben Stunde verließ, um mich in Gottes Namen ins Getümmel zu stürzen, hörte ich, noch am oberen Ende der Treppe, wunderliche Laute hinter einer Tür hervordringen, wie von einem Menschen in Not.
Ich stieß die Tür auf und wünschte auf der Stelle, sie wäre fürimmer verschlossen geblieben. Denn der Mann dahinter, der mir den Rücken zukehrte, war auch bei verschlossenen Läden als Herzog zu erkennen. Fast vollständig angezogen, war er einer weiblichen Person aufgeritten und begattete sie mit gelassenem Nachdruck, als wolle er ihr etwas ein für allemal einprägen, während sie die Lektion mit kurzen Schreien begleitete. An der kindlich hohen Stimme konnte ich nicht umhin, die Hausfrau zu erkennen, und wollte mich eilig zurückziehen; da wandte der Herzog den Kopf nach mir um. Ohne seine Bewegung zu unterbrechen, schien er zu grinsen, und in seinem verdunkelten Gesicht las ich einen Ausdruck, der zu sagen schien: was tut man nicht alles!
Ich will nicht hoffen, daß Seine Durchlaucht mich erkannt haben.
Ich ging die Treppe hinab, um mich unauffällig in die Tanzgesellschaft zu mischen, die von einer Mazurka eben zu Polka übergegangen war. Eine füllige Person, die sich allein gedreht hatte, angelte mich alsbald, und wenn ich sage, daß sie mich zur Brust nahm, ist das milde ausgedrückt. Ich glaubte, in ihrem Dekolleté zu versinken, während sie sich an mich preßte und mich im Kreise schwang. Wenn sie sich zurücklehnte, war sie außerstande, mich zu fixieren, und bei jeder Bewegung war nur zu deutlich,
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