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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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deren guten Sinn auch die Japanesen noch einsehen werden. Sollten doch Gott danken, wenn sie seelenvollen Russen in die Hände fallen statt raffgierigen Briten oder Franzosen!
    Und nun also soll Tolstoi nach Japan, um das Werk dieser Vorgänger würdig zu vollenden? Und der kleine Löwenstern soll ihn als Ratgeber begleiten? Das kann ich kurz machen. Ich rate, den Grafen Tolstoi in Ketten zu legen,
bevor
er Unheil anrichten kann. Von Resanow unterscheidet ihn nur, daß ihm nicht nur Charakter ganz und gar ferne liegt, sondern auch Geschäftssinn. Wozu hätte ihn ein Mann auch nötig, der über mehr leibeigene Seelen verfügt, als er jemals verspielen kann? Ich wünsche ihm ein langes Leben auf einem menschenleeren Eiland. Aber nicht eine Stunde meiner Zeit möchte ich je wieder mit ihm teilen.
    Doch mein Leben in Archangel wünsche ich nicht einmal
ihm
.
    Mein Vater hat mich zu meiner Versetzung dahin beglückwünscht; vielleicht käme ich wohl gar zu meinem eigenen Schiff! Meine Brüder sind längst Offiziere mit Leib und Seele, Woldemar noch dazu stolzer Besitzer einer ständig verletzten Eitelkeit. Die lieben Schwestern salbeten meine Wunden mit evangelischer Buchweisheit, Malchen ausgenommen, die mich als verkanntes Genie verehrt, was mich nicht weniger geniert. Aber ich gebe zu: Nicht einmal mit
viel Unglück
kann man es mir leicht recht machen. Früher täuschte mein angenommener Leichtsinn die Leute; inzwischen ist mir das Elend anzusehen, und Horner, der einzige, den es gnädig stimmen könnte, hat sich wieder in seine Schweiz geflüchtet. Nur die gute Amalie möchte mir die Mutter ersetzen, die mir schon gefehlt hat, als sie noch lebte. Und als ich der Uniform, dieihren Platz eingenommen hatte, halbwegs entwachsen war, starb sie weg. Damals war ich zweiundzwanzig und fand keine Träne; erst Jahre später, als mir Malchen erzählte, Mutter habe mich nicht der Amme überlassen, sondern selbst stillen wollen, leider habe sie keine Milch gehabt – da übernahm mich eine grenzenlose Trauer, als wäre ich nun erst zur Waise geworden.
    Natürlich mußte ich den Mädchen von meiner Weltreise berichten; namentlich über die Südsee hatten sie Wüstes gehört. Die mutige Amalie wollte wissen, ob es denn wahr sei, daß Graf Tolstoi mit einer Orang-Utan-Frau
gelebt
habe? Daß er sie auf einer Südseeinsel gekauft und verzehrt habe, bevor er nach Amerika weitergereist sei? Ach, sagte ich, sie hat leider schon die
Nadeschda
nicht überstanden. Für keusche Ohren wäre die ganze Wahrheit zu abscheulich.
    Ist sie den ihren zumutbar, Exzellenz?
    Die
Nadeschda
ankerte vor Nukahiwa, und die ausgehungerten Matrosen konnten ihren Spaß kaum erwarten. Krusenstern hatte erklärt, wir müßten für eine bestimmte Zeit die Zügel schießen lassen; er wolle nicht das Schicksal der
Bounty
erleben. Auf dieser nämlich hatte die Mannschaft gemeutert, als der Kapitän den Verkehr mit wilden Mädchen verboten hatte. Sie hatten ihn überwältigt, auf offener See ausgesetzt und das Paradies der Lüste eigenmächtig angesteuert, um nie wiederzukehren. – Krusenstern jedoch befand: der männliche Trieb sei nun einmal nicht zu halten. Just vor unseren Augen brauche der Unflat ja nicht zu geschehen; als Offiziere hätten wir an Land Pflichten genug, die wahrzunehmen sich eher schicke. Alsbald maulte Resanow, sein Wunsch und Wille stehe nicht zur Disposition. Krusenstern entgegnete: als Hofmann möge er tun, was er nicht lassen könne, für Seeleute gelte immer noch das Wort des Kapitäns.
    Und wahrlich, dieses Wort wurde Fleisch. Wenn an ungeraden Tagen – an geraden wurde die
Nadeschda tabu
erklärt – die Frauen an Bord kletterten, kontrollierten wir Offiziere nur noch ihre Zahl: auf jedes Männchen durfte nicht mehr als
ein
Weibchen kommen. Damit aber hatten wir dem Prinzip der Zivilisation genuggetan und ließen uns zur Küste rudern, um uns gruppenweise undangemessen bewaffnet volkskundlichen Studien zu widmen, zu botanisieren oder Vermessungen anzustellen. Diese waren Horners Teil, und gewöhnlich schloß ich mich ihm an. Erst wenn es mich für die Schiffswache traf, wurde ich wohl oder übel Zeuge des Schauspiels, das Gottvater weder sehen wollte noch zu verhindern wagte. Die Matrosen fielen auf offenem Deck, wo Stroh ausgebreitet war, ohne Umstände über die Frauen her, und alsbald folgte das übliche Gestöhn und Getriller, das gar nicht mehr enden wollte. Denn wenn ein Mann sein Geschäft verrichtet hatte, blieb die Frau liegen

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