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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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statt Caspar, ich würde mich auch «von» schreiben. – Die Scham machte ihn gleich wieder zornig. «Iwan», das sei das Letzte! Dabei müsse er gleich an den Schrecklichen denken. – Ich werde Gottvater vorschlagen, daß wir Sie «Astronom» nennen, das ist neutral. – Er krauste die Stirn. «Gottvater» sollten Sie nicht sagen, nicht einmal zum Scherz.
    Horner ist Theologe geblieben, auch wenn er zur Naturwissenschaft übergelaufen ist. Er mochte es, wenn ich ihn «Kind Gottes» nannte, und brauchte nicht zu wissen, daß die Redensart unter Balten eher nach Verzweiflung klingt als nach Pietät. Vor Nukahiwa konnte ihn nur noch sein Zahnweh retten, und es blieb ihm bis nach Kamtschatka treu, da ihm Espenberg, unser Arzt, aus Versehen den falschen Zahn gezogen hatte. Seine Meßgänge ließ er sich nicht nehmen, aber sie linderten das Ärgernis des Allzumenschlichen nicht ganz. Denn was ist das ärgste Zahnweh gegen das Schauspiel der Erbsünde! Da war, nach seiner Redensart, «der Fliegengott dahinter».
    Im Paradies soll es
so
zugegangen sein? fragte er mich hinter dem Theodoliten hervor. – Das ist nicht wahr! Da gab es ein einziges Menschenpaar, und wenn sie Sünde überhaupt gekannt haben, dann war es noch keine, denn im Paradies herrschte keine Unzucht, sondern Unschuld! – Auf meine Frage, was der Teufel an Eva denn noch zu versuchen gehabt habe, sagte er: Eben! Als es sie nach der verbotenen Frucht gelüstete, die sie mit dem Mann zu teilen begehrte,da trennte sich die Seele vom Fleisch und mußte
wissen
, was sie tat, und ebendies war der Sündenfall! Was sie im Paradies taten, wußte Gott, doch
sie
brauchten es nicht zu wissen! Es hatte noch keinen Namen, plötzlich aber wurden sie inne: wir
vögeln
ja! Und damit wurde der zarte Inbegriff der Vereinigung zur abscheulichen Beschönigung der Sünde. Unter Schmerzen sollte Eva ihre Kinder gebären! Dazu hätte sich gehört, daß sie auch unter Schmerzen empfing, wenigstens ohne böse Lust. Aber sie deutet auf ihren Schoß, schreit
uka-eh
und versucht den Mann, daß er aufsteigt, je länger, je lieber. Sie verkauft ihren
Mutterschoß
für ein rostiges Stück Eisen! Weil sie der Natur folgt? Aber die Natur ist eine gute Mutter, die man mit Respekt behandelt, keine feile Dirne, auf der man reiten kann, wie man will! Dann, sagte er mit schiefem Gesicht hinter dem Theodoliten hervor, dann werden wir teuflisch! Die Pflicht zur Erkenntnis des Guten und des Bösen ist kein Freibrief, das Böse zu tun, sie verpflichtet zur einzigen Annäherung, die sauber ist, der wissenschaftlichen! Ist die Wissenschaft den Nachweis schuldig, wie tief die Natur fallen kann? Dafür muß der Mensch nur in den Spiegel sehen, und wenn es ihm keine edle Mutter gesagt hat, und keine Heilige Schrift, so sagt es ihm sein Gewissen!
    O weh! dachte ich, niemand wandelt ungestraft unter Palmen! Dabei vermaßen wir eine unnütze Bucht um die andere und mußten nur die bekannten Tabuzonen meiden. Etwas, immerhin, war auch noch den Wilden heilig. Die Toten! sagte Horner mit düsterer Genugtuung. Mit dem Tod hört der Spaß auf, sogar für Menschenfresser. – Dennoch ließ er sich nicht nehmen, auch einen Friedhof zu vermessen; denn Wissenschaft muß die Natur
überall
furchtlos Mores lehren.
    Die härteste Prüfung aber stand uns erst in Petropawlowsk bevor. Der faule Friede, den der Gouverneur hingezaubert hatte, mußte begossen sein, bis zur Besinnungslosigkeit, und keiner durfte sich ausnehmen. Krusenstern und Resanow führten Hand in Hand eine Polonaise an, und am Ende kannte die Festivität gar keine Grenzen mehr. Resanow öffnete die Hintertür zum Séparée, stemmte sich in den Rahmen und lallte:
    Hier geht’s zur Prinzessin, meine Herren. Sie ist bereit, für unsere glückliche Ausfahrt zu beten, mit jedem einzeln, im stillen Kämmerlein. Nehmt eure Kerze mit und laßt sie brennen! Ein Schuft, wer die Andacht schuldig bleibt!
    Und einer nach dem andern verschwanden wir hinter dieser Tür. Auch mein Horner opferte dem Fliegengott.
    3 Archangel war lange nicht nur der erste Hafen Rußlands, sondern der einzige. Es liegt am Ausfluß der Dwina ins Weiße Meer und am Ausgangspunkt der Nordostpassage, welche die Engländer schon zu Zeiten Iwans des Schrecklichen gesucht und nicht gefunden haben. Archangel ist zum Muster aller Sackgassen geworden, und seit der Gründung Petersburgs auch noch zur armen Verwandten. Aber es nimmt sich immer noch seine
tea time
, und seine Sommer gleichen

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