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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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auf unsere Japanesen angewiesen. Der Befehlshaber würdigte unsere Geiseln, seine Landsleute, keines Blicks, schien eine Person zu suchen, die
ernsthaft
das Sagen hatte, und fixierte sich bald auf Krusenstern. Aber der rührte sich nicht.
    Soweit der erste Kontakt – der Vorgeschmack aller weiteren. Resanow hörte nie auf, sich vorzudrängen. Auch in seiner schäbigen Residenz, die er für sich erzwungen hatte, nahm er alle Privilegien eines Staatsgasts in Anspruch und verlangte gleiche Behandlung wie die Holländer, mit denen er übrigens keinen Verkehr haben durfte, sowenig wie mit den Einheimischen – bis auf die zugeteilten Übersetzer, die sogenannten Tolks. Sie wurden die ratlosen Empfänger seiner unerschöpflichen Bedürfnisse und anhaltenden Beschwerden. Am ärgsten trieb er es als Patient. Er ersetzte den Status, der ihm vorenthalten wurde, durch die Willkür seiner Unpäßlichkeit. Er hatte bald heraus, daß er die Japanesen damit auf Trab halten konnte. Kaum nahm er sich die Mühe zu verstecken, daß seine Leiden nur vorgeschützt waren, doch genierte er sich nie, die Tolks in einem Negligé zu empfangen, das jeder Würde spottete, und bildete sich auf seine Vertraulichkeit auch noch viel ein. Seine Molesten waren weggeblasen, wenn er sich an den Lackwaren weidete, die ihm zur Musterung gebracht wurden und von denen er nie genug bekam. Das
geht
in Petersburg! verkündete er mit feuchtem Blick. Die Gastgeber beugten sich seinen Launen und schämten sich für ihn, doch bemühten sie sich immer weniger, ihre Geringschätzung zu verbergen. Schließlich traktierten sie ihn wie ein ungezogenes Kind, während er den Gipfel der Volkstümlichkeit erreicht zu haben glaubte.
    Natürlich hielten sie ihm Frauen zu, denn auch in diesem Punkt bestand der Gesandte des Zaren auf Gleichbehandlung mit Holland. Ich möchte nicht wissen, was die zierlichen Geschöpfe ihren Auftraggebern über ihn berichtet haben. Er aber rühmte sich, für ihre Dienste nicht einmal zahlen zu müssen, und ließ verlauten, dieWeiber seien doch überall gleich. Wir waren heilfroh, daß wir die meiste Zeit – und die Nächte immer – auf dem Schiff verbringen mußten, auch wenn es die Japanesen regelmäßig durchsuchten. Doch ließen sie sich mehr von Neugier leiten als von Mißtrauen und erstatteten uns auch die Bibeln und Gebetsbücher zurück, die wir, in eine Kiste verpackt, ordnungsgemäß versiegelt hatten. So lange, wie sich die diplomatische Mission hinziehen konnte, sollten wir den Trost unserer Religion denn doch nicht entbehren.
    Die Tolks sprachen ein Niederländisch, das für die wenigen unter uns, die sich dieser Sprache mächtig glaubten, eher zu ahnen als zu verstehen war. Jedoch gebot die Artigkeit, jedes gesprochene Wort, auch das eigene, des längeren zu benicken. Fließend Japanesisch sprach inzwischen, nach eigener Angabe, nur Resanow, aber der einzige, der es wirklich beherrschte, war Graf Tolstoi. Das war am nackten Entsetzen der Japanesen zu bemerken, wenn er den Mund auftat. Er mußte bei erster Gelegenheit von Bord:
nur
darin waren sich Krusenstern und Resanow immer noch einig.
    Die Erinnerung an diesen Winter vor Nagasaki tut mir in der Seele weh, Exzellenz, und Archangel ist die fortgesetzte Körperstrafe dazu. Womit habe ich sie verdient? Oder können Sie gar nichts mehr tun? Sind selbst in Ungnade gefallen? ernstlich krank? Ich bin imstande, es zu werden. Wenn Sie irgend können, verehrter, lieber Pate, holen Sie mich hier heraus – ich liefere diesen Brief noch einmal an die bekannte Adresse. Antworten Sie um Gottes willen. Sonst stehe ich für nichts.
    2 Ihr Lebenszeichen sagt mir so viel, daß Sie gesund sind. Und jetzt haben Sie sogar noch eine Verwendung für mich.
    Denn der Zar denkt daran, eine neue Expedition nach Japan auszurüsten. Er denkt daran, sie dem Grafen Tolstoi anzuvertrauen und mich dem jungen Herrn als Berater mitzugeben, im Range eines Kapitänleutnants, mit Aussicht auf eine Pension.
    An all dies denkt der Zar, und ich weiß: Denken ist ein schwierigesGeschäft. Hat er keine Diener mehr, die ihm das Gröbste abnehmen können? Ja doch, Graf Tolstoi wird für ihn schießen, was das Zeug hält, er trifft die Ente im Flug. Nichts leichter als Krieg.
    Hat Herr Chwostow nicht gerade vorgeführt, daß zwei Handelskähne, bestückt mit ein paar alten spanischen Kanonen – Resanow hat sie in San Francisco gekauft –, mehr als ausreichen, ein Heer Japanesen zu Paaren zu treiben? Ihre Dörfer auf

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