Loewenstern
noch.
Nadja liest, auf dem Bärenfell bäuchlings hingestreckt, und neben ihrem dunklen Kopf scheint die Lampe – ein Zwilling meines Schreiblichts aus dem Fundus der Gryllenburg. Aber ich mußschreiben, damit sie liest. Eine Werkstattidylle. Daß sie nicht zum Stilleben geschaffen ist, zeigte sich nur zu bald.
Nadja liest die französische Übersetzung eines japanesischen Romans, der sechshundert Jahre alt sein soll. Die Verfasserin – denn es ist eine Frau – konnte nur japanesische Silbenschrift schreiben. Der Held ist ein Prinz, der eine Frau nach der andern besucht. Aber da edle Frauen hinter Läden sitzen müssen, in halbdunklen Kammern, sieht er nie recht, mit wem er schläft. Was er mitnimmt, ist vielleicht nur eine Bewegung, ein Umriß, ein Duft, kaum ein gesprochenes Wort. Immerhin muß er sich Namen und Aufenthalt der Dame gemerkt haben, um ihr danach ein Gedicht zu senden. Darin ist eine Stimmung der Natur festgehalten, der Jahreszeit, der Schatten einer Blüte, der sich, vielleicht nicht weniger flüchtig, mit der Begegnung verbunden hat. Dann kommt immer auch von ihrer Hand ein Gedicht zurück, im Glücksfall eine passende, weil überraschende Antwort. Und am Zug der Schrift, an der Wahl des Papiers, der Farbe des Umschlags, am Duft, den er verströmt, kann der Prinz ablesen, ob die Begegnung ihre Richtigkeit gehabt hat. Dann lädt sie zur Wiederholung ein, und aus der schnellen Verbindung kann wahre Verbundenheit werden. Der Prinz anerkennt auch seine Verantwortung für das Wohlergehen der Dame und ist für ihre Ausstattung und Unterkunft besorgt. Am Ende ist sein Palast von Häusern der Damen umgeben wie ein Stempel von Blütenblättern. Er besucht sie weiterhin, und wenn ihr Herbst kommt, dürfen sie unbesorgt altern. Von Liebe redet die Autorin nicht. Und was ihr Roman
zeigen
kann, davon braucht er nicht zu reden: Anhänglichkeit, Achtsamkeit.
Die
Elefantenfrau
, sagt Nadja, so nennt sich eine Dame mit ungünstiger Nase. Der Prinz hat sie im Dunkel nicht bemerkt. Wie schämt sie sich, wenn sie sich bei Licht zeigen muß! Er sieht und erschrickt. Aber was sie ihm
gezeigt
hat, war fein und wird es durch ihre Scham noch mehr. Er ist ein Mann, und sie bleibt seine Geliebte.
Wenn Nadja liest, und wenn sie von ihrem Prinzen erzählt, zeigt mein Leibknecht keinerlei Lust, mit ihm zu konkurrieren. Etwasganz anderes ist es, wenn ich schreibe, von Nadja schreibe, und über uns – da steht er gleich auf, der Schalk, denn was geht ihn mein Schreiben an! Worte, Worte! Er braucht was Solides, verlangt Wiederholung, dringt auf Bekräftigung, zerrt mich blind und störrisch zum Schauplatz seiner Taten zurück. Ich bin zwischen zwei Spiegel geraten, Exzellenz, die lesende Nadja, und die abgeschilderte – ist das der Augenblick, der entoptische Farben erzeugt? das wunderbare Regenbogenphänomen?
Ich sehe nur rot. Ich werfe die Feder weg, decke die Leserin auf und falle über sie her. Mag sie sich schütteln, ich rüttle noch stärker, so lange, bis sie erst das Buch fallen läßt, und dann den Kopf auf das Buch.
Ich aber sprenge als Indianer auf meinem Wildfang über die Prärie, und ich klammere mich an meine Mutter als armer Hund.
Wenn es vorbei ist, sagt Nadja kein Wort. Sie bedeckt sich und legt den Kopf auf das Bärenfell. Dann nimmt sie das Buch wieder auf, und ich sitze wieder am Schreibtisch. Wie lange?
Bis zum nächsten Mal. Und sie läßt es gelten.
Die Uhr tickt wieder, beim Vögeln höre ich sie überlaut.
«Ich halte Nadja wie eine Beute fest, und die Zeit läuft davon.» Dies hatte ich grade geschrieben, und schon lag sie wieder auf dem Bärenfell und las. Mein Knecht stieß mich an. Diesmal folgte ich ihm nicht. Statt mich zu Nadja zu schleichen, begann ich sie genauer anzusehen und dann zu zeichnen.
Da hob sie den Kopf und lauschte; der Kratzlaut meiner Feder war nicht der gewohnte. Die Zeichenfeder war gerade bei ihren Händen angekommen – sie sind nicht delikat, ihre Wiedergabe ist es um so mehr –, da schlug sie das Buch zu und richtete sich auf.
Kommen Sie her, sagte sie.
Ich gehorchte, ein wenig befremdet.
Auf den Rücken, bitte.
Sie stellte sich breitbeinig über mich und zog mir den Mantel auseinander. Keine Lust? fragte sie. – Dir will ich helfen. Augen zu.
Erwartete sie, daß ich mich daran hielt? Sie wiegte sich geruhsamam Pfahl im Fleisch und begann ihrem eigenen Geschlecht zu dienen, mit allen Fingern. Sie tupfte und schmeichelte ihm so lange, bis Rotkäppchen aus
Weitere Kostenlose Bücher