Loewenstern
Unabhängigkeit zu verschaffen. Und nach der Geburt ihrer Tochter hatte sie kein Mann mehr berührt.
Ich lachte.
Sie wissen nichts, Ermolai, sagte sie. –
Pirdolitsch
ist wie Zähneputzen. Aber
berührt
hat mich keiner.
7 Ich träume immer noch, Exzellenz, und letzte Nacht sah ich im Traum die Erscheinung eines Menschen – auf einer Bühne, die ich von hoch oben betrachtete. Das Geländer, auf das ich mich stützte, erinnerte mich an dasjenige des Treppenhauses am Frauenplan, aber die Dimensionen waren diejenigen eines anatomischen Theaters, und ich war der einzige Zuschauer. Aber der Mensch
erschien
nicht auf der tiefliegenden Bühne; er
entstand
darauf. Ihre Bretter waren ein geschwärzter Spiegel; hoch darüber schwebte, wie ein freies Dach, ein zweiter Spiegel der gleichen Art, doch kleiner und beweglich. Plötzlich sah ich das Theater als Versuchsanlage, es war ein wissenschaftlicher Apparat, an dessen oberer Platte gedreht werden konnte wie am Okular eines Mikroskops, aber auf der Trägerplatte war, statt eines Objekts, nur ein wabernderroter Fleck zu sehen. Je nach Stellung des oberen Spiegels flackerte er, wuchs, bildete fließende Schlieren, die sich allmählich zu einer farbigen Gestalt zusammenzogen, zu einem unfesten, wie in die Luft tätowierten Menschenbild, in dem ich immer deutlicher Resanow erkannte. Sein Dreispitz war rot wie das Tuch eines Kardinals, die Feder von lichtem Grün, das Gesicht wieder krebsrot und der Rock rosenfarben. Der flimmernde Bauch war vorgestreckt, die lindgrünen Beine gespreizt, die in eigelben Stiefeln staken, auf der Brust flimmerte Ordensgold, die Schärpe zeigte ein strahlendes Ultramarin, die Handschuhfinger am senffarbenen Degen waren wie mit Deckweiß getupft. Die Grenzen der Figur vibrierten, die Bewegung des Deckenspiegels veränderte bald die Schattierung der Farben, bald ihre Leuchtkraft. Plötzlich schlug er um, wie ein Segel im Sturm, und mit einem Schlag erschienen alle Farben der Resanow-Figur komplementär verkehrt; sie stand jetzt wie ein dicker Frosch in der Luft, mit pechschwarzen Händen, knallgrünem Hut, grünlicher Uniform, dunkelgrünem Gesicht, nur die Schärpe war gelb, der Degen blau, und die Feder züngelte wie ein rotes Flämmchen. Die Farben schwankten noch mehrmals, bevor sich das Bild ganz entfärbte und am Ende nur noch ein bengalischer Schleier über dem Boden hing.
Als ich erwachte, lagen Nadja und ich ineinander verwickelt wie Schlangen auf dem Bärenfell, und da ich ihre Augen offen sah, begann ich, ihr den Traum zu erzählen. Unsere Verbindung hatte sich noch nicht gelöst, und während ich sprach, begann sie sich wieder zu festigen.
Ich
habe an Resanow gedacht, sagte sie. –
Darum
ist er dir im Traum erschienen. Du kannst sehen, was ich denke.
Als ich den Namen aus ihrem Mund hörte, geriet mein Knecht ins Stocken. Ihre Augen hatten schon zu schwimmen begonnen; ich hatte das Zeichen lesen gelernt, ihr Schoß erzählt Geschichten, die ihr Mund verschweigt.
Bitte nicht Resanow, sagte ich.
Wen möchtest du denn?
Moor, sagte ich, und augenblicklich bekam ich das Unbedachte diesesWunsches zu spüren. Nadja versteifte sich. Dann rückte sie von mir ab und stand auf.
Ich habe einen Brief von ihm, sagte sie, den letzten, den er geschrieben hat.
Moor? fragte ich.
Sie können ihn lesen. Ich bringe ihn.
Woher haben Sie diesen Brief?
Natürlich ging er an die Zensur, und der Zar verlangte, ihn zu lesen.
Alexander hat ihn gelesen? fragte ich ungläubig.
Und geweint, sagte Nadja, und lächelte plötzlich. – Er hat doch ein Herz für verlorene Seelen. Ach Ermolai, lachte sie, Sie fangen ja an zu glauben, was ich erzähle! Natürlich hat Rikord den Brief einbehalten, wozu war er Gouverneur.
Golownin hat ihn nicht bekommen? fragte ich.
Er hätte ihm nur geschadet, wenn die Zensur mitgelesen hätte. Rikord hat ihn verbrannt, bevor er nach Petersburg zog. Aber vorher habe ich ihn abgeschrieben.
Schon die Japanesen fürchteten, daß sich Moor etwas antut, sagte ich, sie bewachten ihn Tag und Nacht. Wie hat er sich denn umgebracht?
Er hat sich nackt ausgezogen und den Schuß mit dem Zeh ausgelöst. Er war schon gefroren, als man ihn fand. Die Kleider tadellos an einen Baum gehängt, die Stiefel davor exakt ausgerichtet.
Wie in der Kadettenanstalt, sagte ich, das mußten wir üben.
Warum lassen Sie ihn nicht in Frieden? fragte sie. – Die Japanesen erwarten nicht, daß wir sie verstehen. Sie wollen ihre Ruhe, und Moor hat sie
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