Loewenstern
dem Versteck wuchs; Nadja zog den Vorhang ganz weg, da stand es im Kerzenlicht und blickte hoch aufgerichtet in die Runde. Dann steckte Nadja ihren Zeigefinger zwischen meine Lippen.
Lecken, befahl sie.
Ich hatte kaum damit begonnen, da verschärfte sie den Ritt; zugleich begann sie in meinem Mund zu wühlen, daß die Zunge erschrocken zurückwich. Sogleich folgten ihr Nadjas Finger und versuchten sie zu fassen. Dabei hatte sie meine Kiefer aufgesperrt, daß ich glaubte, mein Mund müsse zerreißen. Wenigstens blieb es bei einer Hand. Mit der andern spielte sie an ihrem Schoß und schnellte auf und nieder, als wolle sie mich in Grund und Boden stampfen. Endlich hielt sie meine Zunge fest. Die Drohung, sie auszureißen, und wäre es unabsichtlich, wurde so handfest, daß sich meine Zähne schlossen; damit mußten sie, da Nadja nicht nachgab, weiter gehen als erlaubt. Aber der Biß schien die Feindin nicht zu kümmern. Meine Zunge schmeckte Blut, ich wollte schreien – da tat es Nadja an meiner Stelle, und zugleich riß sie die Hand aus meinem Mund und heulte wie eine Wölfin, während sie sich beidhändig auf meine Schenkel stützte und die Nägel hineingrub. Zurückgelehnt, mit gestrecktem Hals, überließ sie sich ganz ihrem langgezogenen Schrei, zugleich Klage und Triumph, der nicht enden wollte, bis er in ein gedehntes Wimmern überging. Mein Knecht, fast vergessen, immer noch aufrecht, wurde von einem Schauder nach dem andern überlaufen, opferte fast bescheiden, was er zu diesem Überfluß seinerseits beizutragen hatte, und im Stöhnen aus meinem Mund vereinigten sich Wollust und Wundschmerz. Ich hatte das Gefühl, zugleich Beteiligter und Zeuge der schwersten Geburt zu sein. Als sie überstanden war, konnte ich fühlen, wie sich mein Knecht aus der Kampfzone schlich; doch Nadja ließ jetzt ihren ganzen Leib vor mein Gesicht rücken und schob ihr prangendes Feldzeichen zwischen meine Lippen. Meine Zunge rührte es an, ergriffes vorsichtig und schmeckte im Eisen des eigenen Bluts das Gewürz des andern Geschlechts, den Hauch von Nelke und Fäulnis. Die Uhr tickte überlaut.
Ein andermal kam Nadja über mein Gesicht. Erst knetete sie nur daran, als prüfe sie seinen Stoff; später begann sie es zu zerfleischen – es abzureißen, wollte denn doch nicht gelingen, aber sie tat ihr Bestes, und es begeisterte sie immer mehr.
Am Ende fragte sie:
Do you feel better now?
Das Gelächter über diesen Satz war so unwiderstehlich, daß wir aus seiner Erschütterung nicht herauskamen; was folgte, grenzte an Zärtlichkeit. Aber ich baute nicht darauf. Denn schon das nächste Mal konnte sie sich im vollen Galopp aus dem Sattel schwingen und mit kühler Stimme sagen: machen Sie sich’s doch selbst.
Es blieb dabei: sie bestimmte, was gut für uns ist; und sie wollte es sein, die mich nahm. Gestern aber hat sie uns plötzlich umgedreht, sich unter mir verkrochen wie ein mutwillig schutzsuchendes Kind und mit Schulmädchenstimme diesen Spruch aufgesagt:
Zweigeschlechtig
läuft das prächtig,
wechselseitig
lieg und reit ich,
bleibst du sitzen
im Besitzen
lebenswierig
da wird’s schwierig
«Lebenswierig»? fragte ich, als die Gelegenheit zum Gespräch wieder passend schien, wo haben Sie das her?
Von einem Verbannten in Kamtschatka, sagte sie. – Einem Studenten aus Königsberg, der Kants Definition der Ehe von ihm selbst gehört hat. Sie sei «eine Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften».
Das Lotterbett war Nadjas Bildungsweg. Von einem amerikanischenKapitän hatte sie Englisch gelernt – den Yankee-Akzent verleugnet sie noch immer nicht –, Französisch von der Gouvernante der Gouverneurskinder, Deutsch von einem verbannten Akademiker, der wenigstens beim Dozieren unermüdlich gewesen sei. Auch die Philosophen bezog sie von ihm, aber die Lebensweisheit von den Polen, die dafür närrisch genug seien – ihr bevorzugter Umgang, auch wenn die Herren anfangs geglaubt hatten, mit vulgärer Sprache davonzukommen. Sie lernte einen polnischen Dichter kennen, der ihr unter Tränen versicherte, für ihn sei sie der
einzige
Mensch! Diesen Luxus, erwiderte sie, könne sie sich leider nicht leisten. Daß zu jeder Sprache, die sie lernte, Vögeln gehörte, hatte immer weniger zu bedeuten. Die Männer wurden ihr Mittel zum Zweck, was der Philosoph Kant gewiß nicht gebilligt hätte. Aber ihr Zweck war, sich immer wieder einen Anfang von
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