Loewenstern
wurde ich damit erst recht zum Europäer, und sie verurteilten mich wieder zu Ihrer Gesellschaft, von der es kein Entrinnen mehr gab
.
Jetzt erst war ich doppelt gefangen
.
Ja, ich habe die Wahrheit über unsere Expedition gesagt. Die Russen wollen sich Japan unterwerfen, sobald sie die Mittel dazu haben. War das etwa nicht die Wahrheit? Wollen Sie sie auf Elende wie Chwostow abwälzen? Ahnungslosigkeit über das, was wir fremden Völkern angetan haben, ist schon lange nicht mehr erlaubt; nach den Erfahrungen, die wir in Japan gemacht haben, ist es
verboten.
Japan ist uns großherzig begegnet. Aber wir haben nicht seine Stärke kennengelernt, sondern seine Verletzlichkeit. Wir sind Gift für die Japanesen. Wehe, wenn sie einmal danach so süchtig werden sollten wie die Chinesen nach Opium! Russen trinken grenzenlos, Japanesen vertragen nur wenig,und im Rausch werden sie nicht bösartig, sondern vertrauensselig wie Kinder:
Alles ist gut.
Nein, nichts bleibt gut, wenn wir unseren Stiefel auf diese Inseln setzen. Wir wissen nicht einmal, was wir mit Füßen treten! Die Japanesen sind ein austariertes Uhrwerk. Einmal aus dem Takt gebracht, findet es ihn nicht wieder
.
Ihr Stolz war sehr beleidigt, als Sie feststellen mußten, daß die Leute, vor denen Sie zu fliehen wähnten, Ihnen gefolgt waren, Schritt für Schritt. Ihre Flucht war ein Gegenstand der Neugier, wie sich Tiere unserer Sorte wohl aufführen, wenn sie unter sich zu sein glauben. Sie, Wassili Michailowitsch, haben die Prüfung bestanden; der Ausgang beweist es
.
Ich bin durchgefallen. Ich war verblendet, Sie haben ganz recht. Aber was ist meine Verblendung neben derjenigen der Japanesen! Sie glauben, unserer Sorte durch Ritterlichkeit beizukommen, und daß man sich Unanständige mit Anstand vom Leib halten könne. Sie irren sich, und es ist leider nur eine Frage der Zeit, bis sie sich uns zum Vorbild nehmen. Das wünsche ich nicht mehr zu erleben. Sie haben nur unter der Lächerlichkeit Ihrer Flucht gelitten; für mich aber ist das Dasein zum Hohn geworden. Dafür gebe ich mir selbst keinen Pardon, und Sie können ihn mir nicht gewähren.
Da mein Leben nichts mehr zu bedeuten hat, bleibt mir nur der Ausweg der herrenlosen Samurai, in der Gewißheit, daß die Japanesen meinen Tod nicht bemerken und die Russen ihn mißdeuten. Ich sterbe ohne Gewicht, meine Leere ist vollkommen. Setzen Sie mir keinen Stein. Wenn Sie können, trösten Sie meine Mutter; eine so kluge Frau, und hat mich trotzdem geboren. Leben Sie wohl, wie Sie es verdienen; und hüten Sie sich vor Rikord, denn die nächsten Freunde töten am besten
.
Lang lebe der Zar!
Fjodor Moor
Moors Worte in Nadjas Handschrift; ich sehe sie zum ersten Mal. Sie eilt ohne jede Flüchtigkeit von einer Spitze zur andern, jede Zeile ein Dornenhag.
V
Klausur
1 Nadja ließ mich tagelang allein. Das Essen stand auf dem Tisch, wenn ich aus dem Garten zurückkam – ich gab ihr die Gelegenheit, es zu bringen, und tat wohl gut daran. Hätte sie mich verhungern lassen, so hätte ich versuchen müssen, auszubrechen – die Jäger warteten nur darauf. Nadja war vielleicht mein einziger Schutz, und jetzt hatte ich unser Verhältnis aufs Spiel gesetzt. Aber ich verbot mir Spekulationen, womit und warum.
So begann ich, «Golownins Gefangenschaft» wieder zu lesen, als ginge es um mein Leben: die Reise ins Land Kannitverstan.
In der Festung Kunaschir, in die sich Golownin mit zwei Offizieren – Moor und Chlebnikow –, vier Matrosen und dem kurilischen Dolmetscher Alexej mutwillig, vertrauensselig oder fahrlässig begeben hat, werden sie beim Essen mit dem Kommandanten unverhofft angegriffen. Der Kapitän schlägt sich mit einem Teil der Gruppe noch bis zum Strand durch, aber das Boot läßt sich nicht mehr wassern; die Russen werden überwältigt. Ihre
Diana
ankert unerreichbar weit draußen. Sie werden abgeführt, kunstvoll verschnürt wie Pakete; anfangs sind ihre Fesseln die reine Tortur. Aber zugleich halten ihnen die Wächter mit Wedeln jede Mücke vom Leib, und wenn sie an ein Wasser kommen, dürfen sie sich ja nicht die Füße naß machen. Überall sind Ärzte zur Stelle, die ihre Wunden versorgen.
Die vierhundert Werst, zu Land und zu Wasser, von Kunaschir bis nach Matsumai, der Hauptstadt der großen Insel Ezo, sind immer weniger ein Leidensweg, schon gar kein Spießrutenlaufen; immer mehr gleichen sie einer Prozession. Im freien Land haben die Gefangenen die Wahl, ob sie gehen, reiten oder in
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