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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Sänften getragen werden wollen. Daß letzteres zu beschwerlich wäre, haben die Russen allein ihrer Übergröße zuzuschreiben; Alexej, der Kurile, läßt sich die Sänfte gefallen. Das Erscheinungsbild der Gefangenschaft wird immer nur vor größeren Orten wiederhergestellt, dann aber hochzeremoniell; jeder Durchmarsch ein Umzug, demzwar Schaulust begegnet, aber auch Teilnahme, und nirgends eine Spur von Schadenfreude oder Grausamkeit. Die Gefangenen geben Autogramme, setzen ihre Namen mit kyrillischer Schrift auf hingehaltene Fächer, Moor ist besonders begehrt, da er zeichnen kann; er zeichnet auch die
Diana
, für alle, die noch nie ein fremdes Schiff gesehen haben. Die Frage nach dem Befinden der Gefangenen ist immer die erste. Irritation kommt erst auf, wenn sie sich beschweren: das ist unmännlich. Sie erfahren – trotz Alexejs Übersetzungsversuchen – eine
sprachlose
Kalt-Warm-Behandlung, die ihnen ein Rätsel ist; das wird sie bleiben, für die ganze Dauer ihrer Gefangenschaft. Immer wieder stecken ihnen einfache Leute Leckerbissen zu, es kommt vor, daß sie weinen, wenn die Fremden gefesselt vorbeigeführt werden. Die Russen verstehen nur, daß die Japanesen selbst nicht wissen, wie man mit so fremden Menschen umgeht. Wann sind sie Feinde, wann Gäste? Als Eindringlinge unwillkommen oder als Lehrer besonders wertvoll?
    Sie sind in ein Land geraten, das seit zweihundert Jahren in einem ganz eigenen Zustand verharrt. Die Abschließung nach außen beruht auf der Annahme, daß, wer seinen Haushalt nur gut genug ordnet, auch mit der übrigen Welt keine Rechnung mehr offen hat. Läutet sie trotzdem an der Tür, muß man das so lange wie möglich überhören und montiert man am besten das Läutwerk ab. Wäre Gulliver ins reale Japan gekommen, es hätte seinen Verfasser, den Misanthropen, in Verlegenheit gebracht – wie hätte er es
nicht
als beste aller möglichen Welten schildern können? Auch wenn seine Bewohner etwas unter Menschenmaß geraten waren, sittlich hätten sie sich deutlich darüber gezeigt. Solange Japan sich selbst genügt, ist es zivil, genügsam und dabei keineswegs arm, obwohl es auf knappem Raum eine zahlreiche Bevölkerung zu ernähren hat. Aber der Reichtum, den es aus Boden und Wasser zieht, wird haushälterisch behandelt – Golownin bemerkt, die Japanesen äßen schlechterdings alles, was das Meer hergebe. Aber was immer sie essen: es bleibt ein Produkt von Fleiß und Sorgfalt, dem einzigen Gut, an dem niemals gespart wird. Die Paläste bleiben Hütten, nur daß sie in Form und Material edel ausgeführt sind; aber auchdie Häuser der Armen zeugen von ihrem Sinn für schöne Verhältnisse.
    Sogar für das Novum europäischer Gefangener suchen die Japanesen die beste Form. Leider sind die Langnasen mit einem Makel behaftet, den sie nicht einmal als solchen empfinden. In hartnäckigen, bis zur Erschöpfung wiederholten und auf Widersprüche abgeklopften Verhören werden sie immer wieder auf
Resanow
und
Chwostow
angesprochen. Und was wollen sie mit der Vendetta des Gesandten und seiner Compagnons zu tun haben? Nichts!
    Das kann man nicht fassen in einem Land, wo kein Spatz ohne Wissen der Obrigkeit vom Dache fällt. Die Unschuldsbehauptung ist nicht nur sträflich, sondern verächtlich. Die Gefangenen verspielen ausgerechnet, was ihnen in Japan den besten Schutz garantiert: ihre Würde. Die Übeltäter sind Landsleute Golownins; wie kann er sich vor der Haftung drücken und uneinsichtig verreden, was doch auf der Hand liegt! Seine Glaubwürdigkeit stand und fiel mit der
Entschuldigung
, welche die Japanesen erwarteten. Sie war eine Sache der Form, also keine Formalität. Verlangt war die Anerkennung einer Wunde, die dem Körper Japans mutwillig beigebracht worden war. Golownin aber will nicht unverdient verurteilt werden, er fühlt sich im Recht, wenn er die Anklage zu entkräften bemüht ist. In seinen eigenen Augen wäre er nichtswürdig gewesen, wenn er den Kotau ohne Wenn und Aber vollzogen hätte. Gerade mit Wenn und Aber bringt er die Japanesen auf. Es ist ein Zeichen von Kleinheit, mit dem die Russen auch ihre Gastgeber erniedrigen. Die Gefangenen ihrerseits mißtrauen jeder Erleichterung, jeder Wohltat, jedem günstigen Wohnungswechsel. All dies deuten sie nur als Signal, daß sie zum Bleiben verurteilt sein könnten, in Japan gefangen auf Lebenszeit.
    Und nun gibt es auch noch einen Russen, der diese Aussicht als Befreiung betrachtet: Moor. Der befreundet sich mit dem Gedanken,

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