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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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bereit war, ist nur noch eine Frage der Zeit. Die Japanesen sind nicht mehr seine Richter – sie wären Bundesgenossen, wenn er es nur erlaubte. Aber dafür müßte er seine europäische Erziehung verleugnen. Der Riß zwischen den Kulturen tritt am deutlichsten hervor, als er schon überbrückt sein könnte – da zeigen sich beide Seiten als Gefangene ihres Gesichts. Golownin entschuldigt sich nicht, er übernimmt Verantwortung, wie er sie versteht. Auch das versteht Arao Madsumano Kami, der Gouverneur von Matsumai. Nur muß er den Gefangenen dann leider mitteilen, unter diesen Umständen sei es leider nicht möglich, ihre Bitte um Entlassung im empfehlenden Sinn nach Edo weiterzuleiten.
    Aber genau das hat er getan, sagte Nadja, und noch mehr: er hat in der Hauptstadt, im Bunde mit Teisuke, persönlich dafür gesorgt, daß auch sein Nachfolger die Befreiung der Russen als Ehrensache betrachtete. Golownin hat alles falsch gemacht und damit das Richtige getan: von einem wie ihm durften sich die Japanesen nicht lumpen lassen. Denn so fremd er ihnen blieb: er war kein Lump.
    Moor auch nicht, sagte ich.
    Er wollte den Japanesen alles recht machen, sagte sie, er offerierte ihnen auch seine Scham – viel mehr, als sie brauchen konnten. Denn es hatte ihn nicht geniert, sich von seinen Kameraden abzusetzen. Da konnte er noch so fließend Japanesisch sprechen – die Japanesen verstanden ihn nicht.
    Schon bei der ersten Audienz hatte Arao Madsumano Kami, derGouverneur, die Russen gebeten, sie möchten die Japanesen künftig als Brüder betrachten. Und was sie hörten, war: sie müßten die Heimkehr vergessen.
    Du bist ein Mensch, ich bin ein Mensch, ein anderer ist ein Mensch, sage, was für ein Mensch?
    Golownin hörte nur Unsinn und Geschwafel. Er gab dem neuen Dolmetscher schuld.
Die Dreistigkeit und Schamlosigkeit des Menschen brachte uns ganz aus der Fassung, und wir sagten geradeheraus, daß wir nichts antworten würden, damit uns dieser Betrüger durch seine ersonnenen Antworten nicht schaden könne
.
    Als dieser Übersetzer nicht einmal das Wort «Vater» in seinem Wörterbuch findet, lacht sogar der Gouverneur: möge doch Alexej weiter dolmetschen. Aber was bringt der Kurile heraus? Er habe vom Fürsten
so vieles und Schönes gehört, daß er kaum die Hälfte davon wiedergeben könne, sich aber bemühen werde, uns den Hauptinhalt seiner Rede zu sagen, worüber wir uns freuen könnten.
Und der Hauptinhalt lautet,
daß die Japanesen ebensowohl Menschen wären und ein Herz hätten wie andere, deshalb müßten wir uns nicht fürchten und verzweifeln
.
    Aber die Russen fürchten und verzweifeln so lange, bis sich Midshipman Fjodor Moor von ihnen trennt. Vor ihm wird Golownin sein Fluchtvorhaben noch besser zu hüten haben als vor den Japanesen – und muß auch den immer schwankenden Kurilen davon ausschließen. Als die Flucht gescheitert ist, begegnet ihm Moor mit Selbstgefälligkeit und Schadenfreude und fährt fort, sich als Vertrauensmann der Japanesen aufzuführen. Zugleich macht er sich zum Sprecher der Gruppe und setzt eigenmächtig Denkschriften an die Behörden auf; sie belasten die Russen so sehr, daß ihn sogar ein Mann wie Teisuke fragen muß, ob er noch bei Troste sei. Denn er droht, alle Fäden zu zerreißen, die der subtilste aller Übersetzer zugunsten der Gefangenen gesponnen hat. Damit kommt er nur vom Fleck, wenn er Moor desavouiert, und schließlich muß er ihn fallenlassen. Moor bleibt, was europäische Verhältnisse, technisches Know-how betrifft, der eifrigste Informant; aber ebendamit entfremdet er sich dem japanischenEhrgefühl – viel mehr als Golownin, der auf die Kernfrage: «Sage, was für ein Mensch?» eine starke Antwort gegeben hat. Damit hat er die Japanesen herausgefordert – in Frage gestellt hat er sie nicht. Moor aber ist ihnen zu nahe getreten und hat sich zwischen alle Stühle gesetzt. In Japan gibt es keine Stelle für ihn. Als die andern heimkehren dürfen, wird er heim
geschickt
, unter Golownins Vormundschaft – der ihm versichert, daß er in Rußland immer noch etwas verloren habe. Das weiß Moor besser und schlimmer. Er
ist
verloren.
    Von dem fühlenden Herzen/Fordert sein Schicksal/Eine Träne!
    3 Eines Nachmittags saß Nadja unverhofft an meinem Schreibtisch – ich hatte fast aufgehört, sie zu erwarten. Sie zerriß den Brief Moors in kleine Schnitzel. Und statt eines Grußes sagte sie:
    Ich wollte sehen, ob Sie Wort gehalten haben.
    Es war Ihre Schrift, sagte ich, ich

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