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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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konnte sie nicht zerreißen.
    Und nun, haben Sie sich satt gelesen?
    Nadja, fragte ich, Moor ist tot. Warum verfolgen Sie ihn?
    Weil er weiterspukt, sagte sie. – In Ihnen. Ich mag Menschen nicht, die sich anbiedern.
    Golownins Gefangenschaft hat nichts verändert, sagte ich, nach seiner Befreiung blieb alles, wie es war. Moor hat versucht, ein anderer zu werden.
    Er blieb immer derselbe, sagte sie, und immer was Besonderes. Er kroch von einem Kreuz zum andern. Erst wollte er die Güte der Japanesen nicht verdient haben, dann die Güte der Russen. Aber sein einziges Thema war er selbst. Immer der gekreuzigte Muttersohn.
    Aber wenn sich Japan verändern muß? fragte ich.
    Dafür braucht es ehrliche Begleiter. Eine Windfahne ist kein Wind.
    Sie blätterte im zweiten Band von Golownins «Gefangenschaft», dann hielt sie mir das offene Buch hin.
    Das
müssen Sie lesen. Bitte laut.
    Ich bin den Befehlston nicht mehr gewohnt, sagte ich.
    Sie sah mich an. – Also sprach Arao Madsumano Kami – so redet ein Mann:
    Wenn Sonne, Mond und Sterne, die Schöpfungen des Allmächtigen, in ihren Bahnen Veränderungen unterworfen sind, so sollten die Japanesen ihre Gesetze, das Werk schwacher Sterblicher, doch nicht für ewig und unveränderlich halten. Teisuke versicherte uns, daß niemand von den japanesischen Großen es gewagt haben würde, der Regierung eine solche Vorstellung zu machen.
    Nach kurzer Stille fragte sie mit leiser Stimme: Glauben Sie, Moor habe uns nicht leid getan? Ich habe mit ihm gekämpft.
    Sie haben ihn ja doch gekannt.
    Das dachte ich auch. – Holen Sie mir ein Glas Wasser?
    Ich ging in den Waschsaal, brachte das Gewünschte, und zu meinem Erstaunen begann sie, die Schnitzel, die sie zu einem Häufchen zusammengekehrt hatte, in den Mund zu stecken, und spülte sie, ohne zu kauen, mit Schwefelwasser hinunter, Schluck für Schluck.
    Als die
Diana
zum ersten Mal in Petropawlowsk einlief, kam sie aus der Südsee, sagte Nadja, davon merkten wir nichts. Natürlich, die Mannschaft war schon wieder ausgehungert und holte sich, was sie brauchte. Aber die Offiziere waren korrekt – so etwas hatte Petropawlowsk noch nicht erlebt. Wenn ich an die
Nadeschda
denke! Koschelew hatte alle Hände voll zu tun, euch zur Räson zu bringen – die Stimmung dazu machten die Damen, und dafür durften sie keine Damen sein.
    Ich erinnere mich, sagte ich.
    Besser nicht, sagte Nadja. – Aber Golownins Truppe hatte Stil. Die konnten feiern, ohne sich halbtot saufen zu müssen. Schließlich hatten sie der
Royal Navy
ein Schnippchen geschlagen – was sollte ihnen jetzt noch passieren! Chlebnikow und Rudakow sangen, Rikord brillierte, Golownin warf sein Gewicht in die Waage, immer sparsam – brauchte nicht zu beweisen, daß er es hatte. Moor war schon steifer, aber am Abschiedsfest machte er ein Gedichtauf mich und trug es vor; es klang verliebt. Die meisten verabschiedeten sich vor Mitternacht; einige tanzten noch, Chlebnikow lärmte mit Kumpanen in der Ecke. Moor saß immer noch am Tisch. Er zeichnete. Als ich näher kam, deckte er das Papier ab; ich zog seine Hand weg und staunte:
mich
hatte er gezeichnet, als Akt. – Was würde Ihre Verlobte dazu sagen? neckte ich ihn. – Ich muß keiner Frau gefallen, sagte er herausfordernd. – Nicht einmal Ihrer Mutter? fragte ich. – Was wissen Sie von ihr? erwiderte er gequält, ich habe nur noch eine Mutter: die
Diana
, und die hält nicht mehr lange. – Ihre Brüste sind beneidenswert, sagte ich, man würde nicht denken, daß sie eine Jungfrau ist. – Ach, sagte er, die Galionsfigur. Wurmstichig, wie die ganze Fregatte. Wir können von Glück reden, wenn wir mit ihr bis nach Japan kommen – erobern werden wir es gewiß nicht. – Haben Sie das denn vor? fragte ich. – Nicht, daß ich wüßte, antwortete er mit zweideutigem Lächeln. Der Mann reizte mich, ich mußte ihn versuchen und sagte: Haben Sie Lust, bei einer Tasse Tee noch etwas zu plaudern? Hier ist es zu laut, und hinten wären wir ungestört. – Und was antworte er, ohne mich anzusehen: Mademoiselle, Sie sind zu gütig. Aber ich habe mich angesteckt. – Ich war schockiert, daß er gleich auf das Gröbste zu sprechen kam, nur um mich grob abzuschmettern, und hatte keine Lust mehr, mich mit einem Menschen zu unterhalten, der ein Vergnügen als Ernstfall behandelte. – Es wird auch Zeit für mich, sagte er, aber ich bitte um Erlaubnis, Ihnen zum Abschied meine Zeichnung verehren zu dürfen. Ich empfehle mich. – Bei mir

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