Loewinnenherz
unbeschreibliche Hitze. Es stank dermaßen nach Männerschweiß, dass ich aufschrie, um mich schlug und versuchte, aus diesem Wagen wieder herauszukommen. Doch wie ein Schmetterling in seinem Kokon war ich in meinem ausladenden Brautkleid zwischen meinem Bräutigam und einem mir fremden Mann eingeklemmt. Refik lachte mich an. „Hier kommst du nicht mehr heraus“, schien sein Grinsen zu sagen.
Und so fuhren wir los, zum Haus des Bräutigams, um hier den dritten und letzten Tag der Hochzeit zu feiern. Ich hatte entsetzliche Angst davor, mich übergeben zu müssen. Kaum war eine Welle der Übelkeit abgeflaut, bescherte mir mein Fieber einen Schweißausbruch und ich wurde fast ohnmächtig.
Ich hätte diese Autofahrt in meinem Zustand nicht überlebt, hätte ich mich nicht wieder in meinen alten Traum flüchten können. Diese Fähigkeit, mich im Hier und Jetzt einfach abzuschalten, um in meinem Traumuniversum Kraft und Mut zu schöpfen, war einmal mehr meine Rettung. Ich war vollkommen still, spürte aber die stolzen und glücklichen Blicke, die mir Refik zuwarf. Es gehörte sich nicht, dass er mich verliebt ansah, solange fremde Männer mit im Auto waren. Hielt er sich schon nicht an diese traditionelle Regel, so war ich doch wenigstens vor weiteren Annäherungen sicher.
|84| Hochzeitsfoto, August 1992
Als wir unser Ziel erreichten, war mir hundeelend. Mehrere Hundert Menschen warteten bereits auf uns. Ich kannte niemanden und musste doch unter diesem typischen türkischen Getrillere eine Unmenge von mir fremden Leuten umarmen und mich abküssen lassen. Jeden fragte ich, wo denn die nächste Toilette sei, doch keiner schien mich zu hören. Irgendwann fand ich den Weg zu einer Art Plumpsklo, wo ich mich mit meinem Hochzeitskleid abmühte; und weit und breit gab es niemanden, |85| der mir half. Ich hatte Durchfall und musste mich immer wieder übergeben, bekam Schweißausbrüche, und die Nierenschmerzen brachten mich fast um. Ich dachte, wie absurd es doch war, dass sich hier auf dieser schäbigen Toilette die Braut ihre Seele aus dem Leib kotzte und fast starb, während draußen all diese unbekannten Menschen feierten.
Als ich endlich aus der Toilette herauskam, begrüßten mich meine neuen Schwägerinnen. Eine sah mich an und sagte: „Meine Güte, bist du blass!“
„Bitte“, flehte ich sie an, „mir geht es so schlecht, ich kann nicht mehr, gebt mir ein Zimmer, ich muss mich unbedingt hinlegen.“ Zum Glück erbarmten sie sich meiner und organisierten den Schlüssel für das Brautzimmer, das schon für unsere Hochzeitsnacht vorbereitet war. Ich legte mich aufs Bett und blieb den ganzen Tag liegen. Den Gästen wurde gesagt, dass es der Braut nicht gut gehe. Wenige schienen sich darum zu scheren, Hauptsache, das Fest ging weiter.
Die Hochzeitsnacht verlief relativ gewaltlos. Ich ließ einfach alles über mich ergehen. Die Sache mit dem jungfräulichen Blut überließ ich Refik. „Mach was du willst“, sagte ich matt, „mir ist alles egal.“
Er schnitt sich in den Finger, ließ Blut auf das Leintuch tropfen, und zeigte es seiner Familie, und alle waren zufrieden.
Am nächsten Tag wollten wir alle zusammen wieder nach Deutschland zurückfahren. Wir warteten auf meine Eltern, und ich packte meinen Koffer. Refik verlangte von mir, dass ich auch seine Sachen packte. Ich aber sagte: „Nein. Ich will nicht, dass du mit nach Deutschland kommst.“
Ich blicke in sein wutverzerrtes Gesicht, und im nächsten Augenblick zuckt ein schneidender Schmerz durch mein linkes Auge. Er hatte mich mit der Faust mitten ins Gesicht geschlagen und mein Auge getroffen. Ich breche zusammen. Für einige Minuten habe ich keine Wahrnehmung mehr, liege wie besinnungslos am Boden, bis mich eine schreckliche Übelkeit wieder zu Bewusstsein bringt. Als ich aufstehen will, merke ich, dass mit |86| meinem linken Auge etwas nicht stimmt: Ich kann so gut wie nichts mehr sehen, wie durch winzige Löcher schimmert etwas Licht, das ist alles, was ich erkennen kann. Ich springe auf und gehe zu einem Spiegel. Und dann fange ich wie verrückt an zu schreien. Mein linkes Auge ist zu einer winzigen blutroten Kugel geschrumpft, und alles ist voller Blut. Es sieht ganz so aus, als sei mein Auge zerstört.
Meine Schreie locken meine Schwiegermutter ins Zimmer, und als sie mich sieht, gerät sie in Panik. Ihr folgt eine meiner Schwägerinnen, und auch sie starrt mich voller Entsetzen an. Alle wissen, wenn mein Vater mich so sieht, richtet er ein
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