Loewinnenherz
Frauen sein könnte. Aber ich will ja gar nicht schwanger sein! Und gegenüber meiner Familie darf ich es auch gar nicht sein.
Trotz der Behandlung im Krankenhaus bessern sich meine Schmerzen nicht. Drei Tage und drei Nächte kann ich kaum schlafen. Jeder Gang zur Toilette endet mit Tränen, da die Schmerzen nahezu unerträglich sind. Meine Eltern besuchen mich in diesen drei Tagen zweimal. Am dritten Tag kommt auch Refik mit, und meine Eltern lassen uns nach einer Weile miteinander allein.
Er setzt sich auf meine Bettkante und sieht mich ausdruckslos an. Ich blicke an ihm vorbei. Und dann bricht es aus mir heraus: „Ich bin schwanger.“
Refik sagt kein Wort. Er steht auf, geht zum Fenster. Dann dreht er sich um und sagt: „Es wird ein Junge.“
Vor Wut und Angst über diese unglaubliche Reaktion beginne ich am ganzen Körper zu zittern. „Nein“, schießt es mir durch den Kopf, „nicht noch so einen wie dich. Bitte, lieber Gott, lass es ein Mädchen werden.“ Und in den folgenden neun Monaten meiner schweren Schwangerschaft flehe ich täglich zu Gott: Wenn ich schon ein Kind dieses Mannes zur Welt bringen muss, soll es bitte wenigstens ein Mädchen sein.
Irgendwie stellten sie mich im Krankenhaus soweit wieder her, dass ich entlassen werden und die lange Fahrt im Auto in die Türkei auf mich nehmen konnte. Ich fühlte mich mehr tot als lebendig, und als ich auch noch erfuhr, dass die gesamte dreitägige türkische Hochzeit von meinen eigenen Ersparnissen finanziert werden würde, da nannte ich mich im Stillen eine lebende Leiche, die für ihre eigene Beerdigung bezahlt. Ich fühlte |80| mich so schwach und mir war übel und elend zumute, doch das interessierte niemanden. Ich funktionierte wie ein Roboter, der alles ausführt, was man ihm sagt. Und ich war davon überzeugt, dass es zu einer Katastrophe kommen würde, wenn ich mich anders verhalten würde.
Zunächst begann alles so wie jeden Sommer: In zwei voll beladenen Autos fuhren wir in die Türkei. Wir setzten Refik bei seiner Familie ab und dann fuhren wir weiter zu den Familien meiner Eltern. Ich atmete auf. Vier Wochen lang würde ich also meine Ruhe haben vor diesem Mann. Dann, als krönender Abschluss des Sommerurlaubs, würde unsere Hochzeit stattfinden. Zwei Wochen lang war ich wieder das junge Mädchen, das ich gewesen war, bevor Refik in mein Leben getreten war, alberte mit meinen Cousinen herum, und wären nicht meine Schmerzen und mein ständiges Unwohlsein aufgrund der heimlichen Schwangerschaft gewesen, hätte ich Refik und alles andere wenigstens für ein paar Momente vergessen können. Aber auch meine Verwandten erinnerten mich bei jeder Gelegenheit daran, dass ich eine Braut war, und auch wenn es unwahrscheinlich klingen mag, so schaukelte mich diese allgemeine Hochstimmung mit der Zeit in eine Mischung aus Verzweiflung und Euphorie hinein.
Eines Tage wurde mir schmunzelnd und kichernd eine „große Überraschung“ angekündigt. Diese „wunderbare Überraschung“ stand einen Tag später in Gestalt meines Bräutigams vor der Tür. Mir sank das Herz. Wegen der Hochzeit einer meiner Cousinen war er zwei Wochen früher gekommen als geplant. So verdarb er mir auch noch die letzten unbeschwerten Urlaubstage vor meine Ehe.
Es war unglaublich, wie sehr sich die Atmosphäre für mich verwandelte, sobald sich Refik im Raum befand. Und dennoch konnte auch ich es inzwischen kaum noch erwarten, dass diese große Hochzeit endlich vorüber war. Ich redete mir ein, dass sie das Ticket zu meiner Freiheit sein würde.
In der Türkei ist eine Hochzeit eine große, mit zahlreichen Traditionen behaftete Sache. Man feiert drei Tage lang, und die |81| ersten beiden Tage finden im Haus der Braut statt. Der erste Tag meiner Hochzeit war ein Freitag und es wurde den ganzen Tag gegessen. Dafür hatten meine Mutter, Tanten, Cousinen und ich tagelang gekocht und gebacken. Es gab einfach alles, was man sich an Gerichten vorstellen kann, einschließlich einer Riesenauswahl an klebrig-süßen Köstlichkeiten für den Nachtisch. An diesem Tag feierten Frauen und Männer getrennt. Während die Frauen im rund eintausend Quadratmeter großen Innenhof des Familienanwesens speisten und später tanzten, feierten die Männer auf der Straße.
Am zweiten Tag zog die ganze Hochzeitsgesellschaft in den festlich geschmückten Saal eines alten Kinos und hier wurde den ganzen Tag gefeiert. Es wurde getanzt, getanzt, und noch mehr getanzt und ich tanzte mit, bis mir
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