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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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schlecht wurde, dann zog ich mich auf die Toilette zurück und übergab mich, bis nur noch Galle kam, und kaum fühlte ich mich ein bisschen besser, ging ich zurück in die Halle und tanzte weiter. Ich war in einer seltsamen Stimmung, Verzweiflung mischte sich mit Euphorie, meine Cousinen fragten mich immer wieder, ob mit mir alles in Ordnung sei, denn ich war blass und rannte verdächtig oft zur Toilette, doch ich beruhigte sie mit einem strahlenden Lächeln. Die Älteren riefen mir zu, dass dies der schönste Tag in meinem Leben sei, ich solle ihn genießen. Und ich tat wirklich mein Bestes und tanzte weiter, bis mir wieder schlecht wurde. An diesem zweiten Tag fand die sogenannte Brautbeschenkung statt, bei der der tanzenden Braut Geld und Gold ins Kleid gesteckt werden. Als es Abend wurde, strömte die ganze Gesellschaft zum Haus unserer Familie, die Frauen feierten im Innenhof weiter und die Männer draußen vor der Tür. Wann immer es ging, versuchte ich mich zurückzuziehen, doch man rief mich immer wieder herunter zu den Feiernden, und dann musste ich allen wieder die glückliche Braut vorspielen. Sooft es ging, flüchtete ich mich auf die Toilette. Dort hockte ich mich auf den Boden und weinte still vor mich hin. Oder ich hielt endlose innere Monologe, in denen ich meine Mutter anklagte oder meinem |82| Ehemann die Meinung sagte. Und dann träumte ich mich wieder weg, und in meinen Träumen war ich schön, unabhängig und erfolgreich. Ich führte ein Leben, wie ich es wollte.
    Am Samstagabend wurde es dann wirklich traurig für mich, denn es kam der „Hennaabend“ an dem alles darauf ausgerichtet ist, die Braut zum Weinen zu bringen. Ich wurde in einen großen Raum geführt, in dessen Mitte man mich auf den Boden setzte. Mein Gesicht und der ganze Kopf wurden mit einem roten Tuch verhängt. Dann brachte jemand angerührte Hennafarbe auf einem Tablett mit Kerzen. Eine meiner Cousinen bemalte meine Hände mit Henna, denn das soll Glück bringen, während die anderen Frauen traurige Lieder sangen, weinten und fürchterlich klagten, weil ich nun das Elternhaus verlassen würde und meine Freundinnen hinter mir lassen würde, um fortan meinem Ehemann zu folgen. Wie es sich gehörte, weinte auch ich, und zwar wie ein Schlosshund, jedoch aus anderen Gründen. Denn ich war mehr als froh, dem Regiment meiner Mutter zu entkommen, und wenn ich Tränen vergoss, dann deshalb, weil ich wusste, dass ich dabei war, den falschen Mann zu heiraten. Ich weinte so sehr, dass ich am nächsten Tag ein verschwollenes Gesicht hatte, das nur mit Mühe überschminkt werden konnte. Ständig dachte ich an die Scheidung, und dass ich nicht wusste, wie ich das genau anpacken musste. Es war zu meiner fixen Idee geworden, dass ich, sobald ich zurück in Deutschland wäre, sofort die Scheidung einreichen müsste. Doch zuvor ging alles nach türkischer Tradition seinen Gang.
    Am Morgen des dritten Tages weckte mich meine Mutter schon wieder um acht. Jetzt begann der schwierigste Teil des Ganzen, denn heute sollte ich meine Familie für immer verlassen. Ich wurde zurechtgemacht, geschminkt und frisiert, dann schlüpfte ich in mein Brautkleid. Der Bräutigam würde mich abholen, man schätzte, dass er nach der Mittagszeit kommen würde. Nun begann für mich die Zeit des ängstlichen Wartens. Es war unerträglich heiß, ich hatte in der Nacht wieder Fieber bekommen, Unterleibskrämpfe quälten mich, doch das interessierte |83| niemanden. Ich hatte entsetzliche Angst vor dem, was mich erwartete. Ich wusste, schon bald würde ich ihm schutzlos ausgeliefert sein. Meine Eltern und meine Brüder würden zurückbleiben, und niemand wäre mehr da, um mich zu beschützen. Immer wieder versuchte ich mich zusammenzureißen und sagte mir: „In drei Tagen fahren wir zurück nach Deutschland. Und dann werde ich mich sofort wieder scheiden lassen.“
    Schließlich war es so weit. Feierlich geleitete mich meine Mutter die Treppe unseres Hauses hinunter, und mein jüngerer Bruder band mir zum Zeichen meiner Jungfräulichkeit eine rote Schleife um die Taille. Welch eine Farce!
    Vor dem Haus hatten sich rund zweihundert Menschen versammelt, alles Verwandte und Nachbarn, und nach einem tränenreichen Abschied wurde ich mit rituellen Gesängen zum Auto meines Bräutigams geführt. Mir war schwindelig, und ich war so schwach und verzweifelt, dass man mich rechts und links stützen musste, als man mich in den Wagen verfrachtete. Im Auto herrschte eine

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