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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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mit ihr an der Hand schöpfte ich Kraft und Mut. Diese Vorstellung, wie ich mit meiner Aktentasche zu einem wichtigen Gerichtstermin schritt, in dem es um Leben und Tod ging, stärkte mich mehr, als irgendeine Medizin, sie betäubte meine Schmerzen und linderte meine Verzweiflung. Denn tief in meinem Innern war ich stark, auch wenn der Mann, den man mich zu heiraten gezwungen hatte, mir körperlich überlegen war, würde es ihm doch niemals gelingen, mich zu brechen. Er konnte mich schlagen, aber er würde mich nie wirklich besitzen. Solange ich in meiner Fantasie als Anwältin lebte, solange gab es Hoffnung. Denn die Anwältin war stark, keiner konnte sie zerstören, sie war frei und völlig selbstbestimmt, und in meiner Vorstellung erlebte ich mit ihr einen Erfolg nach dem anderen. Ich hatte Freunde mit ähnlichen Berufen, mit denen ich am Abend etwas trinken oder in ein Restaurant ging, manchmal hörten wir uns ein Konzert an oder gingen ins Kino. Mitunter rissen mich meine Reisegenossen auf diesem Transit zwischen Hochzeitsalbtraum und Horroralltag aus meinen Träumen, wollten wissen, warum ich immer die Augen geschlossen |89| hielt. Ich sagte, dass sie mir wehtäten, und das war nicht einmal gelogen. Doch der wahre Grund war, dass ich der Wirklichkeit entfloh, die ich einfach nicht verarbeiten konnte, aus der ich keinen Ausweg wusste. Die Wahrheit war, dass ich nicht an die Zukunft denken wollte, vor der ich mich fürchtete, wie das Kaninchen vor der Schlange. Wenn ich daran dachte, dass ich von nun an mit diesem Mann mein Leben teilen musste, geriet ich in eine solche Panik, dass ich fürchtete, an ihr zu ersticken. Und darum klinkte ich mich einfach aus dieser Welt aus, um in der anderen Trost und Hoffnung zu finden.
    Albtraum Ehe
    Irgendwann kamen wir in Deutschland an, und ich musste mich der Wirklichkeit stellen. Alles, woran ich mich erinnere, jeder Moment meiner Ehe war ein Albtraum. So wie sie begonnen hatte, so ging es weiter. Refik war reizbar, unberechenbar und krankhaft eifersüchtig. Wann immer er das Gefühl hatte, ich würde etwas vor ihm verbergen oder ihm nicht mit dem nötigen Respekt begegnen, wann immer er nicht gut drauf war, was leider häufig der Fall war, schlug er mich. Oft kam er abends nach Hause und durchsuchte meine Tasche, ich weiß bis heute nicht, nach was er eigentlich suchte. Er forderte genaue Auskunft von mir, wie ich den Tag verbracht hatte, ich musste ihm sogar die Kassenzettel zeigen, wenn ich einkaufen gewesen war, damit er sicher sein konnte, dass ich ihn nicht anlog. Er konnte es nicht ertragen, wenn mich ein anderer Mann auch nur ansah. Einmal gab es einen Zwischenfall an einer roten Ampel. Angeblich hatte mich der Mann im Wagen neben uns auf eine Weise angeschaut, die Refik nicht passte, da kurbelte er das Fenster runter und warf einen Schraubenschlüssel gegen die Scheibe des anderen. Der fuhr einfach weiter, als hätte er nichts bemerkt, und das war klug von ihm.
    Mit der Zeit lernte ich die Anzeichen in seinen Augen zu erkennen, wenn er am Abend zur Tür hereinkam. Eines Tages erzählte |90| er mir, sein Vater habe ihm einen guten Rat mit auf den Weg nach Deutschland gegeben. „Damit deine Frau vor dir Respekt hat, musst du sie erst einmal so richtig verprügeln.“ So fragwürdig dieser Rat war: Sein Vater hatte von einem Mal gesprochen. Refik aber tat es immer wieder.
    Zum Glück heilte mein Auge. Es dauerte Wochen, bis das Blut aus meinem Augapfel zurückging, die Schwellungen abklangen und ich nicht mehr aussah wie ein Monster. Und nach und nach kehrte auch meine alte Sehfähigkeit zurück.
    Ich litt während der gesamten Schwangerschaft an meinem alten Nierenleiden, es gab Komplikationen, und monatelang wusste ich nicht, wie ich mit den Schmerzen leben sollte. Aufgrund der Schwangerschaft durfte ich keine Schmerzmittel nehmen, und eine Nierenkolik jagte die nächste. Refik nahm darauf nicht die geringste Rücksicht. Wir hatten derart oft Streit, dass die Tage, an denen es bei uns friedlich zuging, die Ausnahme waren.
    Damals lebten wir noch bei meinen Eltern im Haus, bis zur Geburt des Kindes schien uns das die beste Lösung zu sein. Eines Tages im Januar, ich war inzwischen im sechsten Monat, stürmte Refik wieder einmal in unser Zimmer und zerrte mich an den Haaren hin und her – an den Anlass seines Zorns kann ich mich schon gar nicht mehr erinnern –, da ergriff mich plötzlich eine solch abgrundtiefe Verzweiflung, dass ich sterben wollte. Ich ließ mich

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