Lohn der Angst
zwölf Stunden am Tage im Zenit. Hundert Meter tiefer hatten sie nur noch ein wogendes Nebelbad unter den Rädern. Jeder Chauffeur, selbst wenn er die Strecke kannte, selbst wenn er aus dieser Gegend stammte, fuhr mit gemischten Gefühlen in dieses Nebelmeer hinein.
Der gesamte Höhenunterschied betrug viertausend Fuß, das heißt etwa zwölfhundert Meter. Davon lagen etwa dreihundert Meter, vertikal gemessen, innerhalb des Nebels, auf einer Strecke von zwei Kilometern. Fünfzehn Prozent Steigung, gerade genug. Die Strecke hatte schon einigen Fahrern den Hals gebrochen, damals, als die Crude and Oil ihre große Pipeline baute, die noch immer das Petroleum von den entlegensten Taladros zum Hafen von. Las Piedras pumpte. Sattelschlepper, die meist alt und ausrangiert waren, zogen die Rohre hier herauf. Jedes Rohr, mit einem Durchmesser von fünfzehn Zoll, war dreizehn Meter lang, etwa fünfhundert Kilo schwer. Davon türmte man eine ansehnliche Pyramide auf den Schlepper und das angehängte Räderpaar, und los ging’s... Da war es dann vorgekommen, daß auf der steilsten Strecke der Motor zu klopfen und zu ächzen anfing. Zweimal ruckt die Maschine noch vorwärts, dann schweigt der Motor, und man hört nur noch die Räder, die rückwärts rollen. Mit zwanzig bis dreißig Tonnen Eisen dem Abgrund zu. Spring, Chauffeur, spring!... Mit aller Kraft stemmt er die Arme gegen die linke Tür des Schleppers, die Tür neben dem Steuerrad, sein Körpergewicht ist schlecht verteilt, klemmt ihn fest in dieser Eisenkiste... Wenn es dem Burschen in zwei Sekunden nicht gelungen ist, die Tür zu öffnen, braucht er sich nicht mehr anzustrengen: morgen oder in acht Tagen wird die Bergungsmannschaft mit ihrem fahrbaren Kran kommen und unter großen Mühen zwei Skelette auf die geteerte Straße heben, das eine aus Eisen, das andere aus Bein.
Zur Zeit, als man die Pipeline baute, wurden diese Chauffeure sehr gut bezahlt.
Niemand sprach ein Wort, weder im Jeep noch in der Command-Car. Die beiden Fahrzeuge, die auch hier ganz militärisch wirkten, überquerten mit großer Geschwindigkeit kurz hintereinander die Brücken, verlangsamten ihr Tempo auf dem ausgefahrenen Pflaster bei der Polizeischranke und gaben erst wieder Gas, als sie den Corso San Matresco erreichten, diesen Corso, dem man seinen Namen nicht richtig angemessen hatte: er war nur zwanzig Meter lang.
Das diffuse Licht, das durch die Wolken drang, war für alle Augen unangenehmer als die grelle Sonne der Hochebene. Schmutzige Hütten klebten wie zerdrückt am Boden, hockten in dem fahlen, heißen Nebel: die Stadt schwitzte ihren Nebel aus, einen kräfteverzehrenden Dampf, Nahrung für jede Bakterienzucht.
Die Wagen kamen an der Policia vorbei, einem Gebäude aus Fiberzement, flach und lang wie ein Schuhkarton. Dort waren die Vertreter der Staatsgewalt kaserniert und diejenigen eingesperrt, die darauf ausgewesen waren, sich mit ihr zu überwerfen. Die Fenster hatten Drahtgitter, wie man sie für Hühnerställe verwendet. An dem ganzen Gebäude waren die Türen das einzig Solide.
Vor der Tür saß auf einem Renaissance-Stuhl ein Soldat, der Posten, den das Reglement als »wachsam« bezeichnete. Er trug einen flachen Stahlhelm nach englischem Muster, das sogenannte »Barbierbecken«, auf das mit roter Farbe die Nummer seines Bataillons gemalt war. Zwischen den Beinen hielt er sein Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett und träumte wahrscheinlich mehr von Lust als von Liebe. Das Motorengeräusch weckte ihn aus seinem Dösen, er wandte sich um und schrie ins Innere des Gebäudes seinem unmittelbaren Vorgesetzten zu.
»He! General! Die Gringos kommen zurück.«
»Schert mich ’nen Dreck«, tönte von drinnen die Stimme des Offiziers.
Drei Minuten von der Stadtmitte entfernt begann das Viertel der verlassenen Häuser. Vor fünf Jahren war Las Piedras der blühendste Hafen der ganzen Küste gewesen. Jetzt war es eine tote Stadt. Die Crude hatte der Regierung die Konzession für dreißig Jahre im voraus bezahlt und brachte jetzt keinen Heller mehr ins Land. So unbeständig ist das Wirtschaftsleben dieser kleinen Staaten.
Baufällige Hütten, Löcher, Pfützen, Zementblöcke auf verlassenem Gelände, stehende Tümpel inmitten der Straße. Wegen der Moskitos und der Malaria waren die Wasserlachen mit einer schwarzen Petroleumschicht bedeckt. Zu beiden Seiten der Wagen spritzte der Dreck jäh auf und malte wilde Zeichen an die Mauerstücke. Etwas abseits davon hatten die
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