Lohn der Angst
Yankees ein ganzes verlassenes Stadtviertel in die Luft gesprengt. Und dann rüber mit den Bulldozern! Sie hatten das Erdreich betoniert und es ringsum eingezäunt. Inmitten dieses eingeebneten Stadtteils standen jetzt ihre Holzhäuser, frisch gemalt, farbenfreudig herausgeputzt. Aber sie waren alle gleich.
Die beiden Wagen bogen in das Lager ein und hielten vor der Hauptbaracke. Der Chefarzt verließ sie gerade. Er ging auf O’Brien zu.
»Der zweite Indio ist tot.«
»Und Rynner?«
»Aufgegeben.«
O’Brien stieß einen Seufzer aus, der eher nach Erleichterung klang.
»Seelentröster«, sagte er zu seinem Sekretär, »Sie rufen Mrs. Rynner an, sobald es soweit ist; aber wenn die alte Dame beim Ton Ihrer Stimme wieder ohnmächtig wird, dann können Sie was erleben, ich setze Sie dann höchstpersönlich an die Luft.«
»Seelentröster« fand diesen Scherz durchaus unangebracht.
»Anda, Manolete, anda!«
»Anda, toro! Que bravo!«
Die Stimmen hallten so stark in dem Saal des Corsario Negro – dem verrufensten Lokal von Las Piedras – wider, daß es sich anhörte, als kämen sie aus einem Lautsprecher. Bei ihrem Klang suchte man mit den Augen nach dem Radioapparat; das mußte die Reportage von einem Stierkampf sein. Vielleicht war der feuchte Nebel daran schuld, daß man den Lautsprecher nicht gleich fand. Der Nebel hing in dem Saal wie über der ganzen Stadt. Die Einwohner von Las Piedras nannten ihn den »Atem des Kaiman«, wegen der unzähligen Krokodile, die in dem Flußdelta leben. Dennoch, diese Stimmen kamen aus lebendigen Kehlen, waren keine Laute aus einem elektrischen Trichter. Wenn man von neuem hinhörte, konnte man sich nicht täuschen.
»Matale, toro!«
»Respecto á Manolete, que ya es muerto!«
»Que va, muerto? Maricón, Dios!«
Sie waren drei, die da um einen Tisch saßen.
Der Saal war groß. Farbige Plakate schmückten die weißen Wände. Rechts vom Eingang stand der Schanktisch. Darüber hing ein »authentisches« Bildnis des Schwarzen Korsaren, der niemals existiert hat. In jeder Hand hielt er eine Pistole, zwischen den Zähnen ein Entermesser, auf den Unterarmen ein Mädchen. Für die Augen des Korsaren hatte der Maler eine phosphoreszierende Farbe verwendet. Das Mädchen sah ganz hübsch aus; die stolze Haltung ihres Verführers schien sie heftig zu erregen. Ihre eine Brust war aus dem Mieder gerutscht, wobei es dem Maler wahrscheinlich darauf angekommen war, das rosige Fleisch besonders naturgetreu wiederzugeben. Aber irgendwelche Vandalen hatten beinahe auf alle ihre Körperteile höchst eindeutige Embleme gemalt.
Am Ende des Saales gab es fünf Kabinen mit bunten Vorhängen: dort ging die Sache vor sich. Die Mädchen saßen wartend hinter einem langen Holztisch. Eine einzige von ihnen war schön. Linda, die Gérard, dem sogenannten »Schmuggler«, gehörte. Sie war schlank, braun, mit festen Gliedern, der vollkommene Typ der Mestizin, der Chola, mit ihren glatten, schwarzen Haaren, ihrer zarten, samtenen Haut. Die vier anderen waren häßlich, aber Schwerfälligkeit und Stumpfsinn verliehen diesen animalischen Wesen eine eindringliche, starke Sinnlichkeit.
Um diese Zeit gab es im Corsario kaum Gäste. Draußen lagerte die schwere Hitze des späten Morgens. Es ging auf elf Uhr. Bald würde die Sirene von den Docks ertönen. Dann erst würden die Hafenarbeiter kommen, um sich bei einem Glas Aguardiente zu erholen und den Geruch der Frauen einzuatmen. Einige von ihnen würden einer Zunge, die um einen allzu rot gemalten Mund spielte, nicht widerstehen können. Die Frauen würden, ihre Hüften wiegend, vor ihnen zu den Zellen im Hintergrund des Saales steuern. Sie würden die Vorhänge hinter sich und ihrem Kunden schließen, und das würde schlimmer sein, als wenn sie sich vor allem Volk zusammenlegten. Aber im Augenblick blieb alles still. Nur die Marihuana-Raucher waren da.
Denn die Zigarettenhülsen, aus denen die drei Männer dicke, graue Wolken bliesen, waren mit Marihuana gestopft, dem Rauschgift, das den Sinnen jede gewünschte Illusion vorzaubert. Vier Gramm von diesem Kraut genügen, du schließt die Augen, das Paradies der Träume gehört dir, du kannst wählen. In einer Viertelstunde sitzt du am Steuer des Bugatti, den du dir immer gewünscht hast und nie hast haben können, bist du der Geliebte von Rita Hayworth, Professor für orientalische Sprachen oder Vater von Fünflingen. Und das endet nicht damit, daß du gegen einen Baum fährst und der Wagen in
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