Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lohn der Angst

Lohn der Angst

Titel: Lohn der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Arnaud
Vom Netzwerk:
neues Glas und warf es nach seinem Kopf, dabei heulte er mit der Stimme eines eigensinnigen Kindes:
    »Meinen Stier! Ich will meinen Stier wiederhaben, oder ich schmeiße alles zusammen!«
    Hernandez hatte sich rechtzeitig gebückt, das Glas zersplitterte an der Wand. Ein Splitter riß dem Zöllner ein kleines Stück von seinem rechten Ohrläppchen weg. Die Mädchen waren aufgesprungen und schauten. Der Wirt, energisch, aber keineswegs zornig, gab Jacques zwei saftige Ohrfeigen. Der Alte sackte auf einem Stuhl zusammen und fing an zu weinen. Hernandez kehrte hinter den Schanktisch zurück.
    Fast eine Minute verging, bevor der Zöllner bemerkte, daß er verletzt war und damit ein gewisses Recht hatte, wie ein Esel loszuschreien. Er machte davon ausreichend Gebrauch. Das Blut rann auf sein vergoldetes Schulterstück und floß in kleinen Rinnsalen rings um die Abzeichen. Während er noch überschlug, welche Summe er als Schadenersatz verlangen konnte für Prestigeverlust, Verwundung, chemische Reinigung, nahm er Anlauf zu einer feierlichen Rede, um seiner Entrüstung Ausdruck zu geben.
    »Du bist hier nicht bei den Wilden, du Fremdengeschmeiß«, rief er emphatisch, »sondern im Herzen eines zivilisierten und sogar gesitteten Gemeinwesens! Ich, Guatemalteke von reinstem Blute, Nachfahre der Helden vom 24. Juni, 6. Juli und 24. August, ich fürchte mich nicht, dir das zu sagen...«
    Diese Anspielung auf die ruhmreichen Tage guatemaltekischer Geschichte – die von den Europäern nie ernst genommen werden, es gibt deren zu viele – machte auf Hernandez keinen Eindruck.
    »Da, trink und sei ruhig«, sagte er zu dem Verletzten und stellte ihm ein großes Glas Whisky hin.
    Rosa, unschuldig-schuldig an dem ganzen Tumult, kam ebenfalls an seinen Tisch und bemühte sich, mit dem Geschirrtuch das Blut von seiner Backe zu wischen. Die Mädchen hatten sich wieder hingesetzt. Jacques schluchzte, auf seinem Stuhl zusammengesunken, vor sich hin und verlangte nach seinem Stier. Bald würde er wieder zur Vernunft kommen, aber jetzt fand er, daß ihm bitter Unrecht geschah. In diesem Augenblick betrat Gérard, Lindas Beschützer, den Saal. Er schien sehr geschäftig.
    »Schon wieder betrunken, der da?« fragte er und deutete auf Jacques. »Wißt ihr das Neueste? Die Crude stellt Leute ein.«
    »Suchst du vielleicht Arbeit? Da bin ich aber platt«, sagte Hernandez erstaunt.
    »Die da interessiert mich; sie sagen: gefährlich und gut bezahlt.«
    Dem Wirt des Corsario blieb einen Augenblick der Mund offenstehen, bevor er fragen konnte:
    »Was ist das für Arbeit?«
    »Weiß ich nicht«, antwortete Gérard. »Aber auf jeden Fall war es höchste Zeit. Wenn ich erst die Scheine in der Tasche habe, dann adiós, Las Piedras. Ich hab’s mehr als satt, dieses tote Nest. Jeden Tag das alles...«
    Sein Blick ging durch den Saal zu Jacques hinüber, der jetzt still und mit offenen Augen vor sich hin weinte; dann zu dem Zöllner, zu den Mädchen.
    »Sieh dir doch Linda an... seit sechs Monaten will ich sie hier raushaben, aber es geht nicht, was sollen wir denn beißen? Und die Stadt, die in Klump fällt. Und der Nebel, der dreckige Fluß, die feinen Pinkel in Khaki. Was? Die gehen mir auf die Nerven, meinst du? Sag lieber, die können mich...«
     
     
    Gérard war vor einem Jahr mit dem 11-Uhr-Flugzeug aus Honduras gekommen. Er war bei Hernandez eingetreten, als käme er aus der gegenüberliegenden Kneipe: flott und seiner selbst sicher. An jenem Tage hatte Jacques ebenfalls in einer Ecke des Saales seinen Marihuana-Rausch ausgeweint. Das war nichts Ungewöhnliches, es geschah durchschnittlich dreimal in der Woche. Hernandez betrachtete den Neuankömmling, als kenne er ihn nicht; aber dieser nahm seine Sonnenbrille ab und sagte nur:
    »Salud, alter Knabe. Zahl das Taxi, willst du?«
    Der Wirt des Corsario Negro antwortete darauf nicht direkt, sondern kramte in seiner Kassenschublade, nahm einen Silberdollar heraus, hielt ihn der Kellnerin hin und sagte:
    »Gib das dem Chauffeur.«
    Dabei war sein Geiz allgemein bekannt. Die Zeugen des Vorfalls schlossen deshalb aus dieser unerwarteten Großzügigkeit, daß der Reisende einiges über das Vorleben des Wirtes wissen müsse. Darin täuschten sie sich nicht.
    Für zwölf Dollar am Tage mietete Gérard sich im Corsario ein. Hernandez war mit dieser Lösung nicht ganz einverstanden, wagte aber nicht, das zu sagen. Und was schlimmer war, Gérard Stürmer bezahlte nicht einen Heller. Er saß mit

Weitere Kostenlose Bücher