Lohn des Todes
Idee. Wie viel weiß er?« Ich war in der Tür stehen geblieben und hatte die
Arme verschränkt.
»Genug.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage, Martin.«
»Er weiß, was hier passiert ist. In groben Zügen, nehme ich an, Conny. Spielt es eine Rolle?«
Ich seufzte, ging endlich zu ihm, ließ mich schwer auf das Bett fallen. »Ich weiß nicht, ob es eine Rolle spielt. Einerseits
schon, andererseits …« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich komme mir vor wie ein exotisches Wesen, dass von allen staunend
betrachtet wird. So als wäre ich nicht von dieser Welt.«
»Das bildest du dir ein«, sagte er leise. »Warum sollten sie dich staunend betrachten?«
|36| »Vielleicht als eine Art Forschungsobjekt. Ihr befasst euch mit Morden und Tätern. Ich war auf der anderen Seite, ein Opfer.«
»Ja. Das ist natürlich interessant. Aber eigentlich ist es unwichtig. Für uns hier und jetzt zumindest. Dein Fall ist erledigt,
die Akte geschlossen. Wir arbeiten nun an einem anderen, einem neuen Fall. Ein anderer Täter und andere Opfer.«
»Ja. Ein grausamer Fall.« Ich schloss die Augen.
Gefesselt . Gequält. Geschlagen . Ausgeblutet .
Martin schwieg. Dann drehte er sich zu mir. »Weshalb bist du hier, Conny?«
»Um endlich mit den Dämonen zu kämpfen. Um wieder zurückzukommen in das wirkliche Leben. Um weiterzumachen. Oder um neu anzufangen.«
Ich überlegte. »All das stimmt nur zum Teil, aber von jedem ist ein bisschen wahr. Vielleicht bin ich auch nur hierher gekommen,
um dir zu zeigen, dass ich es kann. Dass ich es ohne dich kann.«
»Um mir zu zeigen, dass du mich nicht brauchst?« Er stöhnte leise auf. »Das weiß ich doch schon längst. Du brauchst mich nicht.
Vermutlich hast du mich nie gebraucht.«
Ich setzte mich auf, zog die Jacke aus, die Schuhe, streifte die Hose von den Beinen. Dann hob ich die Decke und verkroch
mich darunter, rollte mich ganz eng zusammen, schloss die Augen. Nach wenigen Sekunden war ich eingeschlafen.
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Kapitel 5
Als ich wach wurde, stand der Mond hoch am Himmel. Sein Licht schien in das Schlafzimmer wie ein Suchscheinwerfer. Ich konnte
nur eine, höchstens zwei Stunden geschlafen haben. Neben mir atmete Martin tief und ruhig. Für einen Moment lauschte ich seinen
Atemzügen. Er schlief.
Meine Zunge wirkte pelzig, ich hatte einen schlechten Geschmack |37| im Mund. Natürlich, ich hatte mir die Zähne nicht geputzt. Langsam und vorsichtig stand ich auf, bemüht darum, ihn nicht zu
wecken. Ich tastete mich zur Tür, wäre beinahe auf den Hund getreten, der vor meinem Bett lag. Charlie hob nur kurz den Kopf.
Erst im Flur machte ich Licht. Im Badezimmer standen mehrere Zahnbürsten in einem Glas, sie gehörten wohl den Leuten des OFA-Teams.
Mir war kalt, aber ein Gedanke saß in meinem Kopf, den ich nicht greifen konnte, der mich aber unruhig machte. Vielleicht
würde eine Tasse Tee mir gut tun.
Leise ging ich nach unten. Im Flur roch es nach kaltem Rauch und Asche. Ich öffnete die Küchentür, machte Licht. Auf der Arbeitsplatte
standen Weingläser und Bierflaschen, gestapelte Pizzakartons. Ein überquellender Aschenbecher. Ich rümpfte die Nase, zögerte.
Da ich keine Ahnung hatte, wo Teebeutel sein könnten, und ich keine Lust verspürte, danach zu suchen, löschte ich das Licht
wieder und schloss die Tür hinter mir.
Mit etwas Glück war noch ein wenig Glut im Ofen, die ich entfachen könnte. Jemand hatte das Fenster im Wohnzimmer auf Kippe
gestellt. Es war kalt, aber die Luft roch frisch und nicht abgestanden, wie ich befürchtet hatte. Ich zerknüllte eine Zeitung,
legte sie und ein paar Holzspäne in die Glut, blies sacht. Das Feuer flackerte auf. Auf der Truhe standen die angebrochene
Weißweinflasche und mein Glas. Ich schenkte mir ein, trank einen Schluck, setzte mich auf eines der großen Kissen vor dem
Ofen.
Welcher Gedankenfetzen saß da in meinem Kopf und ließ mir keine Ruhe? Es war wie ein Splitter unter der Haut, den man nicht
erreichen konnte, der nicht wirklich schmerzte, aber doch spürbar war. Ich schloss die Augen, genoss die Wärme, die das Feuer
ausstrahlte.
Gefangen. Gequält . Geschlagen . Mit glühenden Zigaretten gebrandmarkt. Vergewaltigt . Geschnitten . Ausgeblutet . Die Kehle durchgeschnitten. Erstochen . Overkill .
Waren es diese Worte, die mich nicht losließen? Die mich |38| bis in den Schlaf verfolgten? Oder war es die Erinnerung an damals?
Nein, obwohl die Furcht immer noch tief in
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