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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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»Sie ist eine Patientin. Ihre Akte ist vertraulich. Privat. Mein Wissen über sie auch.«
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Der Tod hat ihr die Privatsphäre geraubt. Alles, was wir über das Opfer herausfinden, kann
     uns zum Täter führen.«
    Ich nahm die Worte in mich auf, wog sie ab. »Ich weiß ja noch nicht einmal, ob meine ehemalige Patientin tatsächlich identisch
     mit eurem Opfer ist.«
    »Dann finden wir es heraus.« Er klang nun sehr wach, fast schon euphorisch.
    Plötzlich war mir sehr kalt. Ich stand auf. »Ich glaube nicht, dass ich euch helfen kann. Nein, wirklich nicht. Selbst wenn
     sie es ist, was soll ihre Krankheit mit ihrem Mord zu tun haben?«
    »Möglicherweise nichts. Vielleicht aber doch. Dass du hier |41| bist, ist ein Wink des Schicksals. Vielleicht der Impuls, der uns den Durchbruch bringt.«
    »Schicksal? Schicksal ist eins von den zwanzig Dingen, an die ich nicht glaube.« Ich ging an ihm vorbei, Kemper hielt mich
     an der Schulter fest.
    »Conny«, bat er eindringlich, »Conny, du musst uns helfen. Du musst uns erzählen, wer sie war, wie sie war. Warum war sie
     in Behandlung? Was machte ihr Angst?«
    Ich schüttelte seine Hand ab, eilte zur Treppe. »Nein!«
     
    Im Schlafzimmer schlug ich die Tür zu, blieb stehen. Ich zitterte, aber nicht vor Kälte, sondern vor Wut. Welcher Teufel hatte
     mich geritten, gerade an diesem Wochenende hierherzufahren? Und wieso war Martin mit seiner Truppe hierher gekommen? Nur deshalb
     hatte ich von dem Mord erfahren. Von den Morden und ihren grausamen Details. Schicksal, so ein Humbug. Es war purer Zufall,
     ein sehr unglücklicher Zufall.
    Gerade an dem Wochenende, an dem ich meine Bilder von grausamen Quälereien und toten Menschen loswerden wollte, die Bilder
     in meinem Kopf klein und gefügig machen wollte, da kamen Menschen und ersetzten die Bilder durch andere, wohlmöglich schlimmere.
     Nun begannen die Bilder in meinem Kopf sich zu überlagern. Sonja Kluge, ein junges, verhuschtes Mädchen, mehr Knochen und
     Gelenke als Substanz, dunkle Haare, immer streng in einem Zopf oder Knoten zusammengefasst. An ihr war nie etwas weich oder
     geschmeidig gewesen, immer war sie hart und kantig. Auch ihre Aussprache war so, ganz anders als die ihrer Mutter. Die Erinnerungen
     stürzten sich auf mich, nahmen mich ein.
    Ich ließ mich auf das tiefe Fensterbrett sinken, lehnte meine Stirn an die kühle Scheibe des Glases.
    Gefangen. Gefesselt . Gequält . Vergewaltigt . Ausgeblutet .
     
    Jemand kam die Treppe hoch. Vermutlich war es Martin, der mir folgte. Eine Tür wurde mit dem so typischen Knarren alter Häuser
     geöffnet. Ich hob den Kopf, lauschte.
    |42| »Martin?« Es war Maria. »Ich habe Stimmen gehört. Ist etwas passiert?«
    Herrgott, dachte ich, wer alles in diesem Haus Stimmen hört. Das wuchs sich ja fast zu einem übernatürlichen Phänomen aus.
    »Conny kennt die Tote.« Er klang resigniert.
    »Was?«
    »Du hast schon richtig gehört. Sie kennt, nein, kannte Sonja Kluge. Sie war eine ihrer Patientinnen vor einigen Jahren.«
    »Zufälle gibt es.«
    Da hast du ausnahmsweise einmal recht, Schätzchen, dachte ich missmutig.
    »Robert möchte sie in unserem Team haben.«
    »Das ist nicht dein Ernst.« Maria lachte leise, es klang bitter. »Conny bei einer OFA? Weiß er … davon?«
    Langsam stieg Missmut in mir auf. Was ging Maria das an? Und warum sprach Martin überhaupt mit ihr über mich?
    »Natürlich weiß er das. Er wollte sie schon länger bei der Espe haben. Und nun hält er es für unerlässlich, dass sie mitarbeitet.
     Sie kannte das Opfer, hat es behandelt, weiß vielleicht Dinge, die uns auf die Spur des Täters führen können.«
    »Das ist doch Blödsinn, Martin. Sie kannte das Opfer als Patientin, das macht Conny befangen. Und in dem Zustand, in dem sie
     momentan ist, kann sie unmöglich bei einer OFA mitarbeiten. Sie ist doch total labil.« Maria klang so empört, wie ich mich
     fühlte. Ich wollte aufstehen, die Tür aufreißen und ihr ordentlich die Meinung sagen, doch irgendetwas hielt mich zurück.
    »Nicht so laut, Maria. Du täuschst dich, was Conny angeht. So labil ist sie nicht mehr.«
    »Ach? Auf einmal? Letzte Woche hast du aber noch ganz anders geklungen.«
    »Sie macht große Fortschritte, scheint mir.«
    »Naja, ich bin trotzdem der Meinung, dass sie mal die Seiten wechseln und sich auf die Couch begeben sollte. Würde ihr sicher
     nicht schaden.« Maria schnaubte.
    |43| »Sie nimmt therapeutische Hilfe in

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